Von Migränehintergrund und Integrationswilhelm

07. November 2011

Ich lese gerade ein so lustiges Buch, dass ich es mir nicht verkneifen kann mit euch ein Kapitel zu teilen laugh:

 

Kling, Marc-Uwe (2011). Das Känguru-Manifest. Berlin: Ullstein Buchverlage GmbH.

 

Manchmal muss es weh tun

Jörg Dwigs und seine Nationalkonservative Partei für Sicherheit und Verantwortung haben zum Aufmarsch gerufen, und das Känguru hat mich trotz heftigster Kopfschmerzen meinerseits zur Gegendemo geschleift.

"Es geht auch um deine Zukunft, mein lieber Jugendlicher mit Migränehintergrund", hat es gesagt. Jetzt stehen wir in einer gespannten Menschenmenge und warten auf Dwigs´ großen Auftritt. Hinter dem Känguru hat sich, in Formation, eine Abordnung des Boxclubs aufgestellt. Neben uns stehen zwei lustige Türken, die Dwigs´ Ausfälle gegen unproduktive Ausländer recht locker genommen und auf ihr Transparent gemalt haben: "Wir verkaufen nicht nur Obst! Auch Döner!"

Das Känguru stellt mir die beiden Türken vor. Es deutet auf den Jüngeren. "Das ist Friedrich-Wilhelm", sagt es.

"Unsere Eltern haben es ein bisschen übertrieben mit dem Integrationswillen", sagt Friedrich-Wilhelm.

"Mit dem Integrationswilhelm", scherzt das Känguru. Keiner lacht.

"Nun ja", sagt es. "Und der große Bruder hier..."

"Ich heiße Otto-Von", sagt der große Bruder.

"Witzig", sage ich.

"Das ist deine Sicht der Dinge", sagt Otto-Von.

Dwigs lässt sich Zeit.

"Sag mal, was wollen die Deutschen eigentlich?", fragt mich Friedrich-Wilhelm. "Erst haben sie sich ewig beschwert, wir würden ihnen die Arbeitsplätze klauen, und jetzt beschweren sie sich plötzlich, wir würden nicht arbeiten. Das ist doch paradox. Fast könnte man meinen, es geht ihnen gar nicht darum, was wir tun, sondern wer wir sind. Aber das wäre ja rassistisch..."

"Wenn das deutsche Volk nur aus den tumben Idioten bestünde, die Angst vor einer Überfremdung und dem Aussterben des deutschen Volkes haben, wäre es ein Segen für die Welt, wenn ihre Ängste berechtigt wären", grummle ich.

"Hui. Dein Kumpel hier ist ja hart drauf...", sagt Otto-Von zum Känguru.

"Ach. Er hat nur Kopfschmerzen", sagt das Känguru.

"Ich habe keine Kopfschmerzen", sage ich. "Ich habe Migräne."

"Ist doch dasselbe."

"Nein! Das ist nicht dasselbe", insistiere ich. "Das verhält sich zueinander wie ein Kanarienvogel zu einem Monstertruck oder wie ein Monstertruck zu...äh", ich fasse mir stöhnend an den Kopf, "zu einem Sternzerstörer oder...wie ein Sternzerstörer zu ´nem Todesstern. Oder puh...wie ein Todesstern zu ´ner Supernova. Oder, oder wie eine Supernova zum Urknall! Oder wie der Urknall..."

"Na, jetzt bin ich aber gespannt", sagt das Känguru.

In diesem Moment betritt Jörg Dwigs das Rednerpult. Der Applaus seiner Anhänger wird noch übertönt  von den Störgeräuschen der Gegendemonstration.

"Jetzt", ruft das Känguru.

Die Boxclub-Formation öffnet sich. In ihrer Mitte steht ein wummernder Dieselgenerator, auf den das Känguru allerhand Dinge, die Krach machen, geschweißt hat. Unter anderem ein Nebelhorn, eine Capuccinomaschine, einen Mixer, in den Kieselsteine gefüllt wurden, und alles überdröhnend ein uraltes Notebook mit verstopftem Lüfter, das versucht, einen Film von einer Video-CD abzuspielen.

"Bitte", murmle ich, "nur ein klein wenig leiser...Mein armer Kopf."

Dwigs versucht, den Lärm zu überbrüllen. "Wie mein Bruder bereits in seinem Buch ´Ich bin ja kein Rassist, aber...´dargelegt hat..."

Das Känguru zieht ein Megafon aus seinem Beutel und skandiert: "Haider heißt jetzt Dwigs, sonst ändert sich nix!"

Ein Ruf, der sofort vom Boxclub übernommen wird und sich nach und nach in der ganzen Menge durchsetzt.

"Statt dass ihr hier so Lärm macht: Lernt erst mal anständig Deutsch!", ruft einer von Dwigs´ Anhängern uns zu.

"Anständiges Deutsch", verbessert ihn das Känguru durchs Megafon.

"Vielleicht hat er anständig nicht als Adjektiv, sondern als Adverb benutzt", sage ich gequält, "also gemeint, dass du anständig lernen sollst und nicht..."

"Halt die Klappe", sagt das Känguru.

Es holt eine Trommel aus seinem Beutel. "Mach lieber Krach."

"Aber mein Kopf...", sage ich.

Das Känguru zuckt mit den Schultern und drückt mir die Trommel in die Hand. Ich seufze.

Bumm!

Aua.

Bumm!

Aua.

Bumm!

Manchmal muss es weh tun.

 

 

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