Warum Kevin blau wählt und Mehmet nicht hingeht

26. Mai 2014

Das Ergebnis zur gestrigen EU-Wahl zeigt auch den leisen Aufschrei der EU-Verlierer. Über die Hälfte der Stimmberechtigten ist wieder nicht wählen gegangen und EU-kritische Parteien haben dazu gewonnen.

Mehmet und Kevin sind im selben Gemeindebau aufgewachsen und in dieselbe Hauptschule gegangen. Sie haben eine Lehre angefangen, davor vielleicht eine Klasse wiederholt, weil weder Mehmets noch Kevins Eltern bei der Deutsch-Hausübung geholfen haben. Wenn sie sich im Treppenhaus sehen, grüßen sie einander nicht. Beide sind EU-Verlierer.

 

Kevin hat keine Aussicht auf einen gut bezahlten Job in London, Brüssel oder Kopenhagen. Er profitiert nicht sonderlich von den offenen Grenzen und seit er klein ist wurde ihm beigebracht, dass Ausländer seinen Job wegnehmen. Mehmet hat zu Hause nie Deutsch gesprochen. Seine Eltern haben ihm beigebracht, dass er Türke ist und auch hier hat ihm niemand das Gefühl gegeben, besonders willkommen zu sein. Kevin war nur ein Mal in Lignano, im Sommer. Mehmet ist im Urlaub immer in die Türkei gefahren.

 

EU-Verlierer

Weder Mehmet noch Kevin fliegen über Pfingstwochenende nach Paris oder im Sommer nach Schweden zum Wandern. Von Erasmus haben sie noch nie gehört und auch keinen Hörsaal betreten. Sie sind weder hoch qualifiziert, noch besonders gut ausgebildet. Und von der EU wissen sie nur, dass sie ganz weit weg ist und den Menschen vorschreibt, wie ihre Gurken und Glühbirnen aussehen müssen.

 

All die Vorteile, welche die EU mit sich bringt - der Wohlstand, die Reisefreiheit und Unmengen an Arbeitsmöglichkeiten im Ausland - sind noch nicht bei Menschen wie Kevin und Mehmet angekommen. Viele von ihnen sind gestern einfach zu Hause geblieben, weil sie das Gefühl haben, die EU geht sie nichts an. Andere wiederum haben ihre Stimme jenen Parteien gegeben, die in der EU den Klassenfeind sehen, wieder alle Grenzen dicht machen wollen und ganz viele Kompetenzen zurück ins kleine Österreich holen wollen.

 

Das Ergebnis war kein Denkzettel an die Bundesregierung. Die ÖVP ist trotz Verlusten immer noch stimmenstärkste Partei und die SPÖ hat zumindest keine Stimmen verloren. Aber der Wahlausgang ist ein stiller Aufschrei, dass die EU und ihre Vorteile noch nicht bei allen angekommen sind. Dass nicht alle in Österreich im gleichen Ausmaß profitiert haben und die großen Parteien es nicht geschafft haben, alle Wähler auf einen pro-europäischen Kurs zu bringen.

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Zum Abschied gibt es kein Trompeten­...
Foto: Marko Mestrović
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder...
Foto: Marko Mestrović
Nicht über die Communitys zu sprechen,...

Anmelden & Mitreden

8 + 12 =
Bitte löse die Rechnung