Zwischen Yachtclubs und Gemüsemärkten

13. September 2023

Özben

Sommer bedeutete schon, seit ich denken kann, meine Familie in Hatay zu besuchen. Das war früher leicht. Bis auf meinen Onkel und meinen Vater war niemand damals nach Deutschland ausgewandert; meine drei Tanten, ein Onkel und ihre Kinder blieben alle im Dorf. Das bedeutete sechs Wochen in den Ferien intensiv Zeit verbringen, gemeinsam mit allen Cousinen und Cousins, alle auf einem Fleck. Heute ist das etwas schwieriger. Mittlerweile sind die meisten weggezogen, haben geheiratet, Kinder. Das bedeutet für mich allerdings nur, dass sich der Besuch auf verschiedene Städte in der Türkei ausgeweitet hat – auch wenn ich es nicht mehr jedes Jahr schaffe. Bei den letzten Besuchen hat sich aber etwas verändert. Meine Perspektive, könnte man sagen. Während ich nach den meisten Aufenthalten bei meiner Rückreise in eine Art romantische Melancholie verfiel, verspüre ich heute Erleichterung. Das Leben der Menschen in der Türkei ist ein anderes als das, was wir Almancis wahrnehmen, schon lange, schon immer. Unsere einwöchigen Aufenthalte in Urlaubsorten wie Çeşme spiegeln nicht den reellen Alltag der Einheimischen wider – eigentlich eher das Gegenteil. Während reiche Bewohner:innen und Tourist:innen in Alaçatı Freitag abends für Spottpreise Cocktails in fancy Bars schlürfen, die sogar für deutsche und österreichische Verhältnisse lächerlich sind, stehen die Menschen in den Vororten von Izmir morgens um 7 Uhr auf, um auf dem Markt abgezähltes Obst und Gemüse zu kaufen. Abgezählt, weil die Hyperinflation einen Bund Petersilie mehr oder zwei extra Tomaten nicht zulässt.

Eine Unterteilung in Klassen ist so präsent, dass man in einem Beach Club in Çeşme gesiezt und beim Namen genannt wird, nachdem man 2500 Lira (umgerechnet ca. 80 Euro) Eintritt gezahlt hat, während einem im Ilica Halk Plaj (öffentlicher Strand in der Nähe von Çeşme), in dem lediglich 150 Lira (umgerechnet ca. 5 Euro) für Liegen gezahlt wird, in unfreundlichem Ton gesagt wird, man solle sich selber eine Karte holen, um zu bestellen. Es existiert eine fast perverse Leidenschaft für Elitarismus an Orten, wenn man nur genug dafür bezahlt. Es ist nicht das Essen, die Musik oder der schönere Strand – es ist das Erlebnis von maximalem Wohlstand und Luxus, für den man zahlt, unter vermeintlich Gleichgesinnten. Die Schere zwischen diesen zwei Welten ist so groß, dass man sie in jeglicher Form spüren kann. Und während wir, die Menschen aus Deutschland und Österreich, jedes Jahr hinfliegen, um in dieses absurde Leben einzutauchen, geht die Realität des Landes und der Menschen nahezu vollkommen an uns vorbei. Die Unterteilung zeigt sich nämlich offensichtlich auch räumlich. Wenn du dir nicht leisten kannst, in den angesagten Cafés und Bars zu trinken oder zu essen, gehst du auch nicht in eines dieser Cafés oder in eine dieser Bars – der Zutritt wird dir schon am Eingang verwehrt. Der Lieblingssatz der Almancis „Aber alle Lokale sind voll, wenn es den Menschen doch so schlecht geht, wie können die sich das dann leisten?“ macht sich also von selbst nichtig. ●

Bereich: 

Das könnte dich auch interessieren

Malatya/Türkei
Ein halbes Jahr nach dem Erdbeben in...
Özben
Sommer bedeutete schon, seit ich...
.
Foto: Zoe Opratko „Ich habe den...

Anmelden & Mitreden

6 + 1 =
Bitte löse die Rechnung