Die Spielfeld-Maschine

02. November 2015

20151101_135537.jpg

Spielfeld Flüchtlinge
Philipp Grüll

Am ersten Novembertag erstreckte sich ein stahlblauer Himmel über das grüne Herz Österreichs, die Steiermark. Doch nicht mal die strahlende Herbstsonne konnte die Kälte aus Spielfeld vertreiben. Dick eingepackte Polizisten und Soldaten schritten langsam zwischen den Abgrenzungen umher. Dahinter kauerten Flüchtlinge, fest eingewickelt in schmutzige Decken. Sie drängten sich in sonnige Plätze und reckten ihre Gesichter ins Licht, um den Wangen etwas Wärme zu spenden. Plötzlich brach Jubel aus, ein paar Ankömmlinge sprangen auf und sangen auf Arabisch, andere riefen „Jalla! Jalla!“. Die Polizei befüllte wieder Busse, es konnte weiter gehen.

Seit die Grenze zwischen Kroatien und Ungarn dicht ist, kommen die Schutzsuchenden nicht mehr im Osten Österreichs an, sondern im Süden. Damit verloren die Bahnhöfe Wiens ihre Rolle als Dreh- und Angelpunkte, Westbahnhof und Hauptbahnhof sind vergleichsweise leer. Der Grenzort Spielfeld wurde zum Hotspot.

Spielfeld Flüchtlinge
Philipp Grüll

„Mit heutigem Datum kommen durchschnittlich 7000 Menschen täglich“, erklärte Kontrollinspektor Fritz Grundnig, Pressesprecher vor Ort. Sie werden via Bus in Notquartiere verfrachtet. Von dort geht es je nach Wunsch weiter nach Norden oder ins österreichische Asylverfahren. Letzteres bleibt die Ausnahme, meint Grundnig. Der Großteil will nach Schweden oder Belgien. Wien wäre da ein Umweg. Daher ist es momentan ruhig in der Hauptstadt.

In Spielfeld rotieren die Zahnräder dafür auf Hochtouren. Ehrenamtliche Helfer in „Team Österreich“–Westen wuseln zwischen Tischen umher, sie reichen Schüsseln voller dampfendem Eintopf in zitternde Hände. Gleich dahinter steht ein großes Küchenzelt, drinnen fliegen die Messer, draußen brodeln die Töpfe. Ein junger Mann mit Wollmütze schiebt seinen Kochlöffel durch die wohlriechende Masse und brüllt über die Schulter nach gehackten Zwiebeln.

Spielfeld Flüchtlinge
Philipp Grüll

An einem Übergang marschieren fünf hochgewachsene Polizeibeamte auf und ab, sie lassen ihre Augen über die Menge schweifen und rufen knappe Befehle. „Sit down! Stay down!“ Die Flüchtlinge sollen kauern, damit die Polizei den Überblick bewahren kann. Doch die zackigen Befehle in fremder Sprache ernten ängstliche Blicke. Erst als ein Dolmetscher dazu eilt, beruhigt sich die Lage.

„Die Menschen von der Grenze wegzubringen, hat vorrangig zu passieren“, erklärt Inspektor Grundnig. Es gilt, einen Rückstau nach Slowenien zu vermeiden. Hier zählt Effizienz. Alle wollen und sollen möglichst rasch weiterreisen, da kommt es schon mal zu „gereizter Stimmung“, so Grundnig. Doch er betont: „Tatsache ist, dass entgegen anders lautender Meldungen aus dem Internet eigentlich gar nichts passiert ist.“ Einmal bekam ein Polizeibeamter einen Faustschlag ab, der Schuldige wurde sofort festgenommen und einem Verfahren zugeführt. „Wenn man bedenkt, wie viele Tausende Menschen hier täglich durchkommen, ist es wirklich absolut ruhig.“

Spielfeld Flüchtlinge
Philipp Grüll

Der Preis dieser Ruhe und Effizienz lautet Massenabfertigung. Flüchtlinge erhalten hier nur das Nötigste, schlafen in Großraumzelten. Die Reaktionen sind gemischt, einer der Flüchtlinge bezeichnete Österreich als „schlimmes Land“, eine aufgeweckte Dame aus Syrien bedankte sich überschwänglich für die Freundlichkeit in ganz Europa. Tatsache ist: Es funktioniert. Die Leute kommen weiter, niemand raubt Supermärkte aus, keiner bricht durch die Barrikaden, erklärt Grundnig.

Ob Schutzsuchende demnächst wieder nach Wien kommen, wird sich zeigen. Doch dank neuer Unterkünfte wäre die Hauptstadt nun wieder in der Lage, den Rest des Landes zu entlasten, erklärt Caritas-Projektleiter Stefan Waldner. „Wir alle sind bereit, jeden Tag“, erklärt er zuversichtlich.

 

 

 

Blogkategorie: 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Zum Abschied gibt es kein Trompeten­...
Foto: Marko Mestrović
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder...
Foto: Marko Mestrović
Nicht über die Communitys zu sprechen,...

Anmelden & Mitreden

8 + 3 =
Bitte löse die Rechnung