Die Welt ist gerettet!

28. Dezember 2015

Bei frühsommerlichen Temperaturen sitze ich auf einer Bank im Park. Ich drehe mein Gesicht zur Sonne, atme tief ein und lehne mich entspannt zurück. Eigentlich hatte ich mich bis zum Jahreswechsel irgendwie sozial engagieren wollen, aber es gibt nichts mehr zu tun. 2015 wird uns für immer als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem die Menschheit die Welt gerettet hat…

Alles fing damit an, dass plötzlich eine große Zahl besorgter Bürger Obdachlose bei sich zu Hause aufnahm. Den Obdachlosen selbst, die sich viele Jahre von der Gesellschaft im Stich gelassen gefühlt hatten, war es ein Rätsel, warum sich plötzlich so viele um sie kümmerten. „Es ist wie ein Wunder!“, verlautbarten sie in zahlreichen Interviews mit Tränen in den Augen. Um der Gesellschaft nun etwas zurückzugeben, begannen sie, ihren GastgeberInnen Nachhilfe in Deutsch zu geben. Eine Maßnahme mit weitreichenden Konsequenzen. Der sekundäre, tertiäre und sonstige Analphabetismus konnte so gänzlich beseitigt werden.

Die Verbreitung von korrektem Deutsch in der Aufnahmegesellschaft verhalf auch neu ankommenden Flüchtlingen endlich dabei, schnell Deutsch zu lernen. Weiters stellte sich wie von selbst eine Anpassung an die österreichischen Werte ein, die zunächst unerklärlich schien. WissenschaftlerInnen sind sich einig, dass sie vermutlich durch eine Reaktion im Gehirn hervorgerufen wurde, verursacht durch das dauernde Blitzlichtgewitter, dem die Flüchtlinge zugunsten der Selfies von Ehrenamtlichen ausgesetzt waren. Dreimal im Monat schwärmen die Flüchtlinge nun abends aus, gehen in Bars und mischen sich unters Partyvolk. Dabei trinken sie zwar keinen Alkohol, tauchen aber trotzdem in Rudeln auf, gröhlen PassantInnen an und verbreiten überall ihren Müll. Die Männer graben mit derben Sprüchen Frauen  an und sollte sich mal ein anderer Mann in den Weg stellen, reagieren sie prompt mit „Was willst du Schwuchtel?“. Es ist ein harmonisches Bild.

Durch die sinnvolle Beschäftigung und gelungene Integration der Flüchtlinge konnte die Kriminalitätsrate massiv gesenkt werden. Es werden seither keine Flüchtlingsheime mehr attackiert. Der Beruf des Sozialarbeiters ist nach diesen erfreulichen Entwicklungen weitestgehend obsolet geworden. SozialarbeiterInnen werden nun als politische BeraterInnen eingesetzt. Seither bringen Politiker ihre Ich-Botschaften schriftlich zum Ausdruck. Mitterlehner, Mikl-Leitner, Kurz und Brandstetter stellten sich als Erste der Presse mit einem Taferl in der Hand, auf dem zu lesen war: „Wir bedanken uns bei allen ÖsterreicherInnen, die für unser Totalversagen eingesprungen sind!“.

Als Teambuilding-Maßnahme zur Steigerung der gegenseitigen Empathie führten die neuen BeraterInnen Job-Rotation auf internationaler Ebene ein. Einzig Sebastian Kurz wurde von einer Sozialarbeiterin mit abgeschlossener Ausbildung zur Supernanny statt schon wieder ins Ausland zunächst auf die stille Treppe geschickt. Johanna Mikl-Leitner konnte indes als Innenministerin in Syrien erste Erfolge verbuchen. Mit einer baulichen Maßnahme in Form eines Maschendrahtzauns grenzte sie den Islamischen Staat ein. Nach großflächigen Protesten der IS-Krieger einigte man sich trotz gesundheitlicher Risiken auf die Einrichtung einer Raucherzone innerhalb der Umzäunung. Der Terrorismus war damit ein für alle Mal bekämpft.

In einer ersten Reaktion darauf trafen sich die Oberhäupter aller Weltreligionen zu einer Konferenz in Wien, um über die Sinnfrage von Religionen in einer Welt ohne Terror zu diskutieren. Nach dreitägiger Klausur erstand man schließlich auf, um der Welt den kollektiven Veganismus als neue und vor allem einzige Weltreligion zu verkünden. Der Kern der neuen Religion ist das Teilen. Gläubige werden dazu angehalten, fünfmal am Tag Fotos von ihren veganen Mahlzeiten auf Instagram zu teilen. Um ihnen dabei spirituelle Unterstützung und Geleit zu sein, wurden ehemalige Geistliche aller Religionen erfolgreich zu Social-Media-ExpertInnen (welch Verschwendung eines Binnen-I) umgeschult. Womit allerdings wirklich niemand rechnete, ist, dass die erhöhte Konzentration von Matcha-Tee-Dämpfen in der Luft seither dazu beitrug, den Klimawandel endlich zu stoppen….

Irgendwie ist es wohl doch kühler geworden und ich wache auf. Ich erschrecke kurz, als ich merke, dass neben mir auf der Parkbank ein Obdachloser sitzt. „Na, gut geträumt?“, fragt er mich. „Ja, sehr gut!“, antworte ich. Plötzlich fällt mir wieder ein, dass ich mich ja sozial engagieren wollte. Also frage ich ihn, ob es etwas gibt, was er sich für das neue Jahr wünscht. „Ach, eigentlich nicht“, antwortet er. „Obwohl, eine Sache gäbe es da schon...“ – „Ja, was denn?“, frage ich gespannt. „Ich wünsche mir, dass die Leute endlich kapieren, dass man die Welt nur durch Taten verändern kann, nicht durch Meinungen.“

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