Ein Hauch von Alltag

06. Januar 2016

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Mohammad, Asil und Fahim
Philipp Grüll

Dieser Text möchte durch Banalität überzeugen. Es geht mal wieder um Flüchtlinge.

Vor dem geistigen Auge des Lesers mögen nun die Schlagzeilen des letzten Halbjahres in einer Slideshow vorbeirattern – was ist denn jetzt schon wieder?

„Zivilgesellschaft ist überfordert“?

„Obergrenze ist rechtswidrig“?

„Wir Erben der Willkommenskultur“?

Doch nein, heute geht es um den Alltagstrott. Flüchtlinge existieren nicht nur als schwarze Tinte auf dem schmutzigen Papier einer liegengelassenen Tageszeitung. In Wien führen sie ein Leben, irgendwie. Sechs Asylwerber gewähren Einblick in ihr tägliches Ringen um Normalität. Ihr Gesicht wollten fast alle geheim halten.

Zacharias

Zacharias
Philipp Grüll

Morgens kümmert sich Zacharias um seine Reinheit, körperlich unter der Dusche, spirituell beim Gebet – zu Jesus. Zacharias ist vor zwei Jahren zum Christentum konvertiert, eine Straftat in seiner Heimat, dem Iran. Nach dem Frühstück erst mal raus, eine Zigarette rauchen und frische Luft schnappen. Dieser Widerspruch scheint ihn nicht zu stören. Ganz im Gegensatz zu seiner Einsamkeit.

Zacharias sucht Freunde, am liebsten in der U-Bahn. Er blickt sich dort um, studiert die Fahrgäste. Er war früher Frisör, habe mit „Millionen“ Kunden geplaudert und dabei eine perfekte Menschenkenntnis entwickelt. Wenn er jemandem ein Problem ansieht, geht er ihm aus dem Weg. Andere spricht er freundlich an. Er mag die Wiener, und er mag Wien. Gern schlendert er die Mariahilfer Straße entlang, stellt sich vor, eines Tages mit seiner daheim gebliebenen Mutter hier zu spazieren. Nur den Praterstern, den meidet Zacharias. „Everyone there smokes Marihuana, I hate it.“

Zacharias große Leidenschaft daheim war Volleyball, er pritschte sich bis in die A-Liga. Hier könnte er zwar auch spielen, Plätze gäbe es zur Genüge. Doch er habe Mühe, einen würdigen Gegner zu finden.

Wafua und Mina

Wafua und Mina
Philipp Grüll

Wafua (20) und Mina (16) frühstücken morgens erst mal kräftig, danach arbeiten sie an ihrer Zukunft. Jeden Vormittag büffeln sie Deutsch. Danach zieht es die beiden iranischen Mädels in die Stadt. Sie flanieren gern über den „so hübschen“ Stephansplatz und starren durch die Fenster der Boutiquen. Am liebsten würden sie shoppen, doch mit den 40 Euro Taschengeld kommt man nicht weit. Immerhin, es reicht für Fahrkarten, Snacks und ein wenig Nachtleben.

Zweimal waren sie fort, im Bermuda-Dreieck. Mina war DJ in iranischen Nachtclubs und fand die Arbeit ihres Wiener Kollegen „not good“, erklärt sie grinsend. Eines Tages möchte sie selbst wieder am Pult stehen, ihre Lieblingsmusiker sind Enrique, Nicky Minaj und Chris Brown. Auch Wafua will Wien mit ihren Künsten verfeinern. Im Iran ließ sie die Pfannen zischen, die Messer fliegen und die Geschmacksknospen erblühen. Sie träumt davon, ihr Restaurant hier neu zu eröffnen. Der Name wäre „Tarlan“ – eine iranische Vogelart.

Mohammad, Asil und Ali

Mohammad, Asil und Fahim
Philipp Grüll

Die drei unzertrennlichen Freunde Mohammad (18), Asil (18) und Ali (17) haben sich hier nach der Flucht kennengelernt. Die drei kommen aus Afghanistan und sprechen nach einem Monat schon solides Deutsch. Gemeinsam haben sie eine Lerngruppe gebildet, sie setzen sich täglich nach Frühstück und Abendessen zusammen. Ihre 40 Euro Taschengeld gehen für Handy-Guthaben und Essen drauf. Hätten sie mehr Geld, würden sie es in private Deutschkurse stecken, oder in Sport. Den Geist füttern sie mit Büchern, den Körper mit Bewegung. In den Lernpausen kicken sie auf der Praterwiese. Mohammad und Asil stürmen, Ali steht als Bollwerk in der Verteidigung – das perfekte Team.

Auf dieser Wiese feierten sie neben Siegen auch Silvester. Das Feuerwerk fanden alle drei super, wenn auch etwas gar laut. Dafür fühlten sie sich dort heimelig: „So viele Leute Afghani, ich gedacht, ich bin in Afghanistan!“, sagt Asil lachend. „Am Stephansplatz auch!“. Auch den Reumannplatz und den 10. Bezirk finden sie schön, wenn mal weniger los ist.

Das Leben dieser Menschen mag ein Scherbenhaufen gewesen sein, doch auch daraus kann man ein Mosaik basteln. Die Zukunft ist ungewiss, doch zumindest gibt es endlich eine Gegenwart, in der man gerne aufwacht. Normalität ist manchmal außergewöhnlich und wundervoll. 

(Namen von der Redaktion geändert)

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