Ein Zuhause entsteht

30. November 2015

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Asylheim Kinderzeichnung
Philipp Grüll

Mit einem lauten Seufzer lasse ich mich in den kleinen Drehsessel fallen.

Ich schließe die Augen, und projiziere eine To-Do-Liste auf die Innenseite meiner Augenlider. Installateure einweisen. Arzt anrufen. Mittagessen organisieren. Neben den geistigen Zeilen auf meiner geistigen Liste entstehen kleine geistige Häkchen. Okay. Ich lasse wieder Licht an meine Netzhaut, und eine Freiwillige steht vor mir. „Es gibt ein Problem. Wir können das ganze Essen nicht auf diesen kleinen Herdplatten warm machen. Es ist unmöglich.“ Meine Mundwinkel wandern in Richtung Augenringe. „Unmöglich? Ich schau mir das mal an.“

Meine Kollegen und Kolleginnen hätten genauso reagiert. Wer ein Flüchtlingsheim aus dem Nichts stampft, braucht einen flexiblen Realismus. „Unmöglich“? Bis zu 12.000 Menschen wurden täglich am Westbahnhof versorgt. Bei Spielfeld überschritten Tag für Tag an die 7.000 Menschen eine Landesgrenze. Es gab warmes Essen, Kleidung und Betten. Seitdem hat das Wort „unmöglich“ seinen Schrecken verloren. Zu kleine Herdplatten? Physikalische Begrenzungen? Lächerlich.

Asylheim Tagesjournal
Philipp Grüll

Wir sind ein Team aus ehemaligen Freiwilligen, und gemeinsam mit einer NGO errichten wir ein neues Heim für Asylwerber. Inzwischen bezahlt. Die meisten von uns kommen von den Bahnhöfen, diesen Maschinen der Massenabfertigung. Dort schmierten wir die Zahnräder, denn die abertausend Flüchtlinge mussten rasch und effizient weiter kommen. Jetzt sind sie da, haben Asyl in Österreich beantragt, und brauchen Betten, Mahlzeiten, Duschen, Waschmaschinen, medizinische Versorgung und sozialen Frieden.

Aus Flüchtlingen wurden Bewohner. Das ist nicht nur eine Frage der korrekten Bezeichnung, sondern der Herangehensweise. Dieses Haus beheimatet über 200 Seelen auf engstem Raum. Hastige Halblösungen führen hier in Teufels Küche.

Eine Familie bat mich neulich um einen Vorhang, denn sie fürchteten um ihre Privatsphäre. Ich willigte ein und ging bei der Konstruktion zur Hand. Bald wurden Stimmen laut, wir würden diese Familie bevorzugen - ich kam in Erklärungsnot. Beim Mittagessen dürfen Kinder und ihre Eltern als Erste zugreifen, weil wir die Kleinen gut genährt wissen möchten. Die hungrigen Single-Männer weiter hinten in der Schlange raunen dann unzufrieden. Ähnliche Probleme bringt die Körperhygiene: Die Boiler der Duschen geben genug heißes Wasser für zwei Stunden her, danach gibt’s flüssige Eisnadeln oder noch einen Tag Körpergeruch. Da Frauen und Kinder zuerst duschen dürfen, beschweren sich Männer über die unfaire Behandlung. Und über den Schnupfen.

Davon abgesehen hatten wir innerhalb der ersten Woche noch einen Milbenbefall, Grippe und Magen-Darm-Beschwerden im Haus. Inmitten von kotzenden Kindern, maulenden Männern und sonoren Sanitätern hing ich am Telefon, und fragte Spender mit zuckersüßer Stimme, ob sie nicht vielleicht womöglich eventuell noch Festnahrung für uns hätten? Ja wirklich? 150 Stück Pizza? Ganz, ganz lieb, danke. Ich möchte hier keinesfalls jammern. Das ist nämlich der Witz daran. All das macht einen Riesenspaß. Nicht nur aus einem Helferkomplex heraus. Die täglichen Herausforderungen halten mich auf Zack.

Asylheim Ordner
Malek

Nach nur zwei Wochen sind wir stolz auf unsere kleine große WG. Kranke bekommen Hilfe, Hungrige bekommen Essen. Wir haben Hausregeln, an die sich fast alle halten. Streit können wir meistens schlichten, die Kinder können sich im Spielraum austoben, und viele Bewohner helfen bereitwillig. Wenn ich nach einer langen Schicht aus der Tür trete und mir die kalte Frischluft das Hirn durchputzt, frage ich mich oft, wie wir das heute wieder geschafft haben. Wie haben wir heute nochmal Frieden zwischen Syrern und Afghanen gestiftet? Wo haben wir heute die Sanitäter hergezaubert? Und wie zum Henker haben wir all das Curry auf diesen winzigen Herdplatten aufgewärmt? Dann beschließe ich, solche Fragen den zukünftigen Historikern zu überlassen, und schlendere in Richtung Pizza-Stand. Denn jetzt hab' erstmal ich Hunger.

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