Heiraten ohne Liebe

15. Juli 2015

Mir war natürlich bekannt, dass Leute früher nicht unbedingt aus der uns bekannten romantischen Liebe geheiratet haben. Doch so ganz bewusst war es mir nicht, bis meine Uroma mir kürzlich ihre Liebesgeschichte erzählt hat.

Ich bin dieses Jahr auf sechs Hochzeiten eingeladen und das hat mich dazu gebracht, sehr viel über Liebe, Beziehungen und eben Hochzeiten nachzudenken. Jede Hochzeit, auf der ich bis jetzt war, kam aus purer Liebe zustande. Ein wunderschöner Anblick. Doch es ist und war nicht immer so.

Ich erinnere mich daran, dass ich als Kind im Haus meiner Urgroßeltern herumgelaufen bin. Die Tür ihres Schlafzimmers war offen und ich erhaschte einen Blick davon, wie meine Urgroßeltern umarmt im Bett lagen und mein Uropa mit der einen Hand den Schenkel meiner Uroma streichelte und mit der anderen ihren Rücken. Ich verzog das Gesicht, die beiden lachten und ich ging weiter spielen. Ein Jahrzehnt später blickte ich bei der Beerdigung meines Urgoßvaters ins tränenverströmte Gesicht meiner Uroma und das Bild der beiden, eng umschlungen kam mir wieder in den Sinn.

„Hast du ihn geliebt?“

Wieder einige Jahre später, am Tag einer der erwähnten Hochzeiten, frage ich meine Uroma wie sie sich eigentlich kennengelernt haben. Und ihre Antwort ist ziemlich ernüchternd. Ihre Tante wusste, dass ihre Bekannten, die einen guten Ruf hatten, zudem auch noch einen Sohn hatten, der studiert hatte und sozusagen eine sehr gute Partie war. Ihre Nichte war hübsch und in heiratsfähigem Alter. Die Erwachsenen machten sich also aus, wann sie die beiden jungen Leute verheiraten. Und so war es dann auch. Wir sprechen hier von den 40er Jahren.

Ich bin ein bisschen baff, als sie mir das erzählt und frage, ob Opa ihr überhaupt gefallen hat. „Ja, ich schätze schon“, lautet ihre Antwort. Ich gebe ein etwas gezwungenes Lachen von mir. „Das war früher halt so“, sagt meine Uroma und lächelt sanft. Nun sitze ich nur noch da und bin in Gedanken versunken. Die Frage, die mir seit Minuten auf der Zunge brennt, sprudelt nun heraus: „Hast du ihn eigentlich geliebt?“ Meine Oma antwortet mir:  „Es war nicht immer einfach, aber so ist das Leben nun mal. Und ich hab ja euch, Kinder, Enkelkinder und sogar Urenkelkinder.“ Sie macht eine kurze Pause. „Aber ja, ich habe ihn schon geliebt.“

Die Geschichte meiner Uroma hat mir vor Augen geführt, dass Liebe unter den ungewöhnlichsten Bedingungen gedeihen und ganz besondere Formen annehmen kann. Und dass Beziehungen sich entwickeln. Vor allem aber ist mir bewusst, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass ich den Mann heiraten kann, den ich mir aussuche und den ich liebe. Oder ob ich überhaupt heiraten will. Und dass das keine Selbstverständlichkeit ist.

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