Meine Erinnerungen an Damaskus

17. September 2015

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Visa Syrien
Foto: Simone Egarter

Im Sommer 2010 vor dem Arabischen Frühling reiste ich das erste und einzige Mal nach Syrien. Für über einen Monat sollte mir Damaskus damals vertraut werden und doch fremd bleiben. Ich erinnere mich noch an das köstliche Vanilleeis mit Pistazien, das ich mir mindestens einmal die Woche im Souk al-Hamidiyah, der Innenstadt Damaskus, kaufte. In meinen Erinnerungen sehe ich mich durch die Altstadt wandern, wie ich die wunderschönen alten Bauwerke bestaunte, wie mich die Autos mit den riesigen Asad-Aufklebern verstörten und wie ich vor den Blicken der zudringlichen Männer flüchtete. Dieses Land war für mich aufregend neu und zu gleich unheimlich befremdlich.

„Du und ich – schlafen?“

Meine Arabischkenntnisse waren zu diesem Zeitpunkt mehr als dürftig. Als ich einmal in ein Taxi stieg, begann sich der Fahrer, ein älterer Herr, interessiert mit mir zu unterhalten. In gebrochenem Arabisch erzählte ich ihm, woher ich komme und dass ich in Damaskus einen Sprachkurs besuchte. Ich hatte keine Bedenken mich mit einem älteren Mann zu unterhalten. Weil ich aber gehört hatte, dass es sich als Frau in Syrien nicht schickt am Beifahrersitz Platz zu nehmen, saß ich zum Glück auf der Rückbank. Auf einmal nahm das harmlose Gespräch eine unangenehme Wendung. Der Mann fragte mich, wo ich schlafen würde. Das dachte ich zumindest. Ich antwortete bei meiner Gastfamilie. „Nein, du und ich… schlafen“ erklärte er mir in vereinfachtem Arabisch, damit ich es auch wirklich verstehe und gestikulierte dabei eindeutig. Nach einer Schrecksekunde, zog ich die Notbremse. Ich legte ihm ein paar Geldscheine auf den Polstersitz  und stürzte an der nächsten Kreuzung aus dem Taxi.

Auf der Straße trug ich anfangs ein Kopftuch, da ich mich in dieser konservativen Umgebung damit sicherer fühlte. Da es in Damaskus äußerst unüblich war, als Frau alleine unterwegs zu sein, folgten mir oft komische, fremde Männer. Sie riefen mir nach, ob ich Irakerin sei. Eine Frage, die ich nicht einordnen konnte. Als Erklärung lieferte mir meine Gastfamilie, dass sich gerade verwitwete oder alleinstehende irakische Frauen ohne männliche Verwandte, die vor dem Krieg geflohen waren, in Syrien prostituieren mussten um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Männer wollten also wissen, ob ich eine Prostituierte sei? Dies war mein erster Besuch in einem arabisch-islamischen Land und natürlich informierte ich mich vorab über die Gepflogenheiten in Syrien. Doch auf das war ich nicht vorbereitet.

Samira und die Hoffnung

Ich ging jeden Tag in der Früh zu meiner Lehrerin Samira nach Hause, wo sie mich unterrichtete. Samira war eine adrette Dame in höherem Alter. Ihr Mann war früh verstorben und Kinder hatte sie nie bekommen. Daher lebte sie mit ihren vielen Katzen alleine in einem großen, mondänen Apartment. Wir saßen meist auf ihrem Balkon und studierten Grammatik und Vokabeln. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es einen großen Park, wo sich ab und zu junge Buben und Mädchen scheu begegneten. Wir schmunzelten beim Beobachten der Annäherungsversuche. Samira erzählte viele Geschichten aus ihrem Leben. Sie war belesen und hatte die halbe Welt bereist. Mit ihrem Mann lebte sich auch lange in Europa, im Alter entschied sie sich jedoch bewusst für ein Leben in ihrem Heimatland. Sie sprach von einem Syrien im sozialen Aufbruch und von ihrer Hoffnung in ihr geliebtes Land. Die Menschen könnten einmal frei sein. Der Kontakt zu Samira brach kurz nach meiner Heimreise ab. Doch ihre Hoffnung blieb mir in Erinnerung. Wie enttäuscht muss sie heute sein, wenn sie gar noch am Leben ist.

Nackte Menschen

Die vielen Wochen in Damaskus konnte ich weder auf meine E-Mails zugreifen und auch viele andere Webseiten wurden vom Asad-Regime gesperrt. Meist setzte ich mich nachmittags in ein Internetcafé auf der gegenüberliegenden Straßenseite meiner Unterkunft. Ich rief meine Mutter über Skype an, am Anfang bat ich sie oft mich, frühzeitig nach Hause fliegen zu lassen. Sie meinte nur, ich solle durchhalten und das Beste aus meiner Reise machen. Neben mir saßen einmal zwei Mädchen mit weißen Kopftüchern, als ich gerade mit meiner Mama auf Deutsch sprach. Sie fingen an zu kichern. Zuerst dachte ich, dass sie sich über mich amüsierten, da ihnen meine Gespräche auf Deutsch vielleicht komisch vorkamen. Nach einer Weile störte mich das Gekicher und ich lehnte mich im Sessel zurück, um ihnen einen Blick zuzuwerfen. Als ich auf ihren Computerbildschirm blickte, bemerkte ich sofort die Bilder von nackten Menschen. Jetzt musste ich schmunzeln. Das hätte ich in einem öffentlichen Internetcafé am Allerwenigsten erwartet.

Kulturschock

Wie in jedem Land trifft man auf herzliche Menschen, auf kulturelle Eigenheiten, auf andere Normen und Verhaltensregeln. Ich kann nicht sagen, ich hätte mich in Syrien so wohl gefühlt wie in anderen arabischen Staaten, die ich bereist habe. Dennoch war es ein unglaubliches Erlebnis und ein totaler Kulturschock. Es waren wahrscheinlich gerade diese Ambivalenzen, die krassen Gegensätze und die Schizophrenie einer Diktatur, in der soziale Medien verboten waren und der Diktator selbst ein Facebook-Profil hatte. Ich möchte meine Erinnerungen an Damaskus nicht missen und trotz vieler negativer Erlebnisse, denke ich bis heute an die Menschen und dieses Land mit all seinen Kulturschätzen voller Wehmut. Hoffentlich waren das nicht meine letzten Eindrücke von Damaskus. 

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