„Muslime werden zu 'den Anderen' gemacht“ – Seyran Ates im Interview

03. Mai 2017

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Moschee
Robert Schlesinger / dpa Picture Alliance / picturedesk.com

Mit ihrem öffentlichen Aktivismus hat sich die türkischstämmige Deutsche Seyran Ates bereits einen Namen gemacht. Wir haben mit der Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin über ihre Moschee, Kritik am Islam und die Türkei gesprochen.

Sie haben ja beschlossen, eine Moschee zu eröffnen, in der Frauen und Männer nebeneinander beten. Wie weit sind Sie mit Ihrem Projekt?

Ich arbeite jetzt schon seit acht Jahren mit sieben anderen Leuten an der Eröffnung dieser Moschee. Wir hatten bisher auch noch keine Räume für unsere Moschee gefunden, doch nächste Woche unterzeichnen wir den Mietvertrag. Wir haben jedoch noch wenige Interviews dazu gegeben, weil wir sie im Juni eröffnen wollen und mein Buch über die Entstehung in Juli veröffentlicht wird. Im Sommer geben wir dann auch mehr Interviews dazu.

Im Zeit-Artikel sprechen Sie darüber, dass Sie in Ihrer Moschee auch Kritik an dem Propheten Mohammed üben wollen. Sind Muslime dazu bereit, wirklich Kritik zu äußern?

Es gibt ja keine Denkverbote. Die Menschen sollen sich schon fragen: Ist das richtig überliefert worden? Man sollte die Schriften kritisch betrachten, weil sie von Männern überliefert wurden, die eventuell etwas daran verändert haben. Da gibt es ganz sicher Leute, die das Gelehrte hinterfragen und selbst nachdenken. Weltweit wird der Islam gerade mit Terror gleichgesetzt, also ist jetzt die richtige Zeit dafür, als Muslim oder Muslimin eine kritische und demokratische Haltung vorzuleben.

 

 

Sehen Sie ein Problem darin, dass viele Muslime so abhängig von Gelehrten sind und ihre Worte für die Worte des Korans halten?

Die Muslimische Glaubensgemeinschaft ist die Glaubensgemeinschaft, die am wenigsten über ihre eigene Religion nachdenkt. Viele können selber kein Arabisch und brauchen deshalb einen Imam oder Hodscha, um ihnen die Lehren zu vermitteln. Diese haben dann eine Chance sie zu lenken oder sogar zu manipulieren. Wir wollen die Menschen dazu auffordern, kritischer zu sein und mehr zu hinterfragen, in dem wir beispielsweise mit Schulen zusammenarbeiten.

Manche meinen, der Islam müsse erst noch eine Aufklärung durchmachen wie beispielsweise das Christentum. Was ist Ihre Meinung dazu?

Der Islam hatte Kants Art von Aufklärung schon im 12. Jahrhundert, der Philosoph Ibn Rushd – der Namensgeber unserer Moschee – hat schon Aristoteles kommentiert. Jedoch wurden seine und andere Texte von Fundamentalisten unterdrückt. Da ist es interessant zu beobachten wie der Westen, der im Mittelalter noch unaufgeklärt und schrecklich war, den Islam überholen konnte, der zu der Zeit seine Goldene Zeit hatte. Damals war der Orient führend in den Wissenschaften. Was ist da gekippt? Wieso ist der Westen heute wissenschaftsaffin während der Orient nun die Wissenschaft unterdrücken will?

Seyran Ates

Sie haben bereits die Assoziation des Islams mit Terror erwähnt. Welche politische Seite macht es Ihrer Meinung nach dem Extremismus leichter sich zu verbreiten, links oder rechts?

Beide Seiten tragen da ihren Anteil dazu bei. Die Islamfeindlichen und die sogenannten „Gutmenschen“ - die einen heben Muslime in den Himmel und die anderen versuchen sie zu unterdrücken. Beide Gruppen sind auf ihre Art rassistisch, denn sie machen Muslime zu „den anderen“.  In beiden Fällen werden sie ausgegrenzt.

Haben Sie als Frauenrechtlerin manchmal das Gefühl, dass der Feminismus auf muslimische Frauen vergisst?

Man muss beachten, dass Feminismus nicht homogen ist. Der westliche Feminismus verhält sich aber oft wie die „Gutmenschen“ unserer Gesellschaft. Auch sie machen Musliminnen zu einer anderen Art von Frauen, zu „den anderen“. Was sie als Frauenrechtlerinnen erkämpft haben, glauben sie nicht auf andere übertragen zu können. Ein Beispiel: Wenn eine katholische Familie ihre vierzehn-jährige Tochter verheiraten will, würden Feministinnen gleich aufschreien. Wenn das gleiche in einer muslimischen Familie passiert, bestehen sie darauf, dass das eben die Kultur ist.

Sie haben als türkischstämmige Deutsche offen Kritik an der türkischen Regierung geübt. Hat das ihre Einreise erschwert?

Reisen in die Türkei sind derzeit wie russisches Roulette für mich, ganz besonders bei den ganzen neuen Verhaftungen. Als kritischer Mensch der auch Erdogans Politik in Frage gestellt hat, kann ich nie wissen, wann es mich trifft. Ich habe auch eine Rechtsanwaltkanzlei in Istanbul und bin früher oft zwischen Berlin und Istanbul hin und her gereist. Es ist kein schönes Gefühl, nicht mehr einfach ein Ticket zu kaufen und wieder zurückzukehren.

Haben Sie schon einmal überlegt, keine öffentliche Kritik mehr zu äußern?

Auf gar keinen Fall. Diese Situation darf nicht zum Schweigen führen. Für mich war Schweigen nie eine Option, die Angst hat mich da nie geleitet. Dazu gibt es ein passendes Zitat von Martin Luther: „Hier stehe ich nun und kann nicht anders.“

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