Noch mehr Dinge, die man an Wien vermisst

16. Juni 2016

Ich bin gerade am Wiener Flughafen, mein Flieger nach London geht in 45 Minuten. Mein Kopf ist voller Gedanken: Mein erster Besuch in Wien, nachdem ich vor eineinhalb Jahren nach England gezogen war, ist zu Ende und ich bin mir nicht ganz sicher wie ich mich damit fühle.

Auch wenn ich diesen Ausflug kaum erwarten konnte, war ich ein wenig nervös bevor ich nach Wien gekommen bin. Ich glaube, ich hatte ein wenig Angst, dass ich Wien auf andere Art und Weise erleben würde und mein Wienbild sich dadurch verändern wird. Wie ein Kind, das erfährt, dass seine Eltern über den Weihnachtsmann gelogen haben.

wien stephansdom
Artur Zolkiewicz

Ich habe vor ein paar Monaten einen Blog über Dinge geschrieben, die ich an Wien am meisten  vermisse. Und ich habe auch all diese Dinge gemacht: Ich war auf der Donauinsel, saß am Stephansplatz und beobachtete Menschen, fuhr eine Runde mit einer alten Straßenbahn und war in einem traditionellen Wiener Kaffeehaus eine Melange trinken.  Einkaufen am Sonntag bei Billa am Franz-Joseph-Bahnhof war ich auch. Ich habe all das sogar mehr als damals genossen. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich eine Reise in die Vergangenheit gemacht. 

 

Dinge, die man an Wien vermisst

 

Wien ist anders. Doch die Hauptstadt Österreichs ist nicht nur anders, sie ist auch anders geworden. Dabei sind ein paar Dinge zu meiner Liste dazugekommen, die ich an Wien vermissen werde.

 

1. (Echte) Wiener sind grantig.

Und das ist auch gut so. Sie jammern ständig. Es geht ihnen gut, sie sind aber nie damit zufrieden, tun andererseits aber auch nichts, um diesen Zustand  zu verändern. Ohne Meckern wäre ein Wiener kein Wiener. Ich habe diese leicht pessimistische aber dennoch fröhliche Lebenseinstellung vermisst. 

 

2. Wiener mögen keine Deutschen, die Deutschen scheinen es immer noch nicht ganz zu verstehen. Eigentlich versteht das eh niemand. Die Hassliebe zwischen Österreichern und Deutschen (oder besser gesagt von Österreichern zu Deutschen) ist stärker als ich das in Erinnerung hatte. Dabei sind Deutsche Österreichs beliebteste Ausländer. Jugos sind immer noch Betrugos, Polen stehlen immer noch Autos und Türken essen nach wie vor Döner. Es ist herrlich, immer wieder eine österreichisch-deutsche Auseinandersetzung zu beobachten. 

 

3. Wienerisch ist ein schöner Dialekt und ich habe ihn vermisst. Er hat was Spezifisches an sich.  Er verursacht, dass grantige Wiener richtig grantig klingen und hilft ihnen ihren Grantler-Ruf aufrechtzuerhalten. Ein Ding zum Vermissen.

 

4. Wiener Hipster vs. Wiener Ausländer

Wien, vor allem 1070 Bezirk, ist zu einer Hipster-Stadt geworden. Die Wiener Hipster trinken alternative Getränke, hören alternative Musik, tragen alternative Kleidung und tun all das während sie auf ihren Longboards unterwegs sind. Das sind sie, die friedlichen Wiener Hipster. Andererseits lassen sich in Wien Wiener Ausländer treffen: Wiener, die aus anderen Ländern kommen, es aber zum Ausdruck bringen, dass sie keine richtigen Wiener sind. Dabei bilden sie eine eigene soziale Gruppe von Menschen, die einen Teil der Wiener Kultur angenommen haben, gebrochenes Wienerisch sprechen und sich freuen, wenn Österreich ein Fußballspiel verliert. Zwischen diesen zwei Gruppen gibt es Überschneidungen. Wiener Hipster und Wiener Ausländer lassen sich nicht nicht mögen.

 

Leider gibt es auch eine Entwicklung, die ich nicht so toll finde: Ich habe gemerkt, dass es eindeutig mehr Menschen gibt, die, noch nicht so ganz offen, aber auf jeden Fall viel offener, über ihre politischen Ansichten sprechen. Den Satz “ich bin kein Rassist, aber…” habe ich von viel zu vielen Menschen gehört. Angesichts der aktuellen politischen Situation in Europa ist das ein schlechtes Zeichen. Die Ursachen für das Ergebnis der letzten Präsidenten-Wahl scheinen jetzt verständlicher zu sein, obwohl ich sie immer noch nicht ganz packe. Das ist eins der Dinge, die ich an Wien sicherlich nicht vermissen werde. 

 

Die Zeit, in der ich nicht da war, hat es mir erlaubt, eine gewisse Distanz zu Wien zu gewinnen. Ich bin von einem Neo-Wiener zu einem Neo-Londoner geworden. Wien ist anders und verändert sich ständig. Natürlich gibt es immer sowohl positive, als auch negative Veränderungen. Nach meinem Wienbesuch bin ich mir einer Sache sicher: Ich werde nie aufhören, Wien zu lieben und zu vermissen.

 

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