Tag der weißen Bänder: Gastbeitrag von Dennis Miskić

31. Mai 2022

Wir gedenken heute dem Tag der weißen Bänder. Es ist ein Tag, der für die ganze bosnische Nation Schmerz, Leid und Demütigung repräsentiert. Es ist das erste Mal seit dem zweiten Weltkrieg, dass eine Gruppe von Menschen zur Vernichtung gekennzeichnet wurde. Und das wenige Stunden von der österreichischen Grenze entfernt.


von Dennis Miskić aus Srebrenica

 

Die bosnische Stadt Prijedor wurde 1992 von bosnisch-serbischen Truppen mit dem Ziel, eine rein serbische Gemeinde daraus zu machen, eingenommen. Heute vor 30 Jahren wurde die Nicht-serbische Bevölkerung gezwungen, ein weißes Armband zu tragen, wenn sie aus dem Haus gehen und ein weißes Tuch über ihre Fenster zu hängen. Dazu verloren ein Großteil der Bosniak*innen und Kroat*innen ihre Jobs. Die serbische Regionalbehörde hat beschlossen, dass diese nur für die Serb*innen bestimmt seien. Was kurz darauf folgte waren Konzentrationslager, Massenvergewaltigungen und Todeslager. Das wohl berüchtigtste Lager liegt in Omarska, einem Dorf wenige Kilometer von Prijedor entfernt. Hier wurden im Frühling und Sommer 1992 über 6000 Bosniak*innen und Kroat*innen im Lager unter unmenschlichen Konditionen festgehalten. Viele der Gefangenen wurden zu Tode gefoltert, sind verhungert oder wurden exekutiert. Die Human Rights Watch hat das Omarska Lager als Konzentrationslager eingestuft. In einem weiteren Lager, dem Trnopolje Lager, ist das berühmte Bild von Fikret Alić entstanden. Es zeigt ihn, abgemagert und ohne Kleidung, hinter einem Stacheldrahtzaun. Das Bild landete auf dem Cover des TIME Magazins, welches am 17. August 1992 erschien.

800 Jahre Gefängnis

Für die Verbrechen in Prijedor wurden über 80 rechtskräftge Urteile im Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag gefällt und die Täter zu mehr als 800 Jahren Haft verurteilt.

„Wir konnten feststellen, dass das Lager Omarska eines der brutalsten und grausamsten Lager war, das während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien errichtet worden war.

Bob Reid, Stellvertretender Leiter der Ermittlungen für das ICTY.

Über 490 Zeug*innen haben vor dem Strafgerichtshof zu den Ereignissen in Prijedor ausgesagt. Sie haben über die Massaker, Folter und die Zeit in den Konzentrationslagern ausgesagt. Die Kriegsverbrecher wurden für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und nicht für Völkermord verurteilt. Der Grund dafür ist, weil es vor Gericht sehr kompliziert ist, dies zu beweisen. Für die Verurteilung für Genozid muss bewiesen werden, dass ein Angeklagter die konkrete Absicht hatte, Völkermord zu begehen. Das heißt, dass er die konkrete Absicht hatte, eine gesamte Gruppe auszulöschen. Auch wenn dieses Urteil in Den Haag nicht gefällt werden konnte, ist der bosnischen Bevölkerung klar, dass es in Prijedor vor 30 Jahren darum ging, eine gesamte Gruppe von Menschen zu vernichten. Die Tatsache, dass es vor Gericht nicht als Genozid eingestuft wurde, macht es nicht weniger wichtig durch unser Gedenken zu zeigen, dass genau diese Absicht gegeben war. Wen vom Genozid an den Bosniak*innen gesprochen wird, kann nicht nur von Srebrenica die Rede sein. Die genozidale, islamophobische Maschinerie wurde über Jahre hinweg aufgezogen und der Genozid in Srebrenica im Juli 1995 ist die traurige Spitze des Eisbergs.

Heute noch immer keine Versöhnung

Leider lässt die serbisch-nationalistische Regierung in Prijedor seit Jahren keine Gedenkmäler oder Friedensmärsche zu. So wurde beispielsweise ein Denkmal, welches an die 102 ermordeten Kinder in Prijedor erinnern sollen, nicht zugelassen. Stattdessen hat man ein Denkmal errichtet, um die Täter zu erinnern. Täter, die in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilt wurden. Der für heute geplante Friedensmarsch, der an die Opfer gedenken sollen, wurde von der Gemeinde verboten. Dafür hat es gestern eine Kundgebung, die an die Verteidigung der Stadt erinnert hat, gegeben. Es wird wieder einmal an die Täter erinnert. Während dieser Kundgebung hat man auch darauf aufmerksam machen wollen, dass die weißen Bänder eine Lüge wären. Von der internationalen Gemeinschaft gibt es bisher noch keine Reaktion. Es wäre das Minimum, ein friedliches Gedenken zuzulassen damit die ermordeten Opfer würdevoll erinnert werden können.

Hinweis: Heute um 17Uhr wird am Heldenplatz ein Denkmal für die Opfer des Massenmords in Prijedor errichtet. Siehe Foto.

flyer, prijedor

Dennis Miskić ist 19 Jahre alt und leistet als erster Österreichischer Auslandsdiener seinen Zivildienst im Srebrenica Memorial Center.

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