Warum wir marschieren

31. August 2015

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Kind
Philipp Grüll

Eine gigantische Menschenwelle flutete heute den sechsten Bezirk, trug weiße Fahnen als Schaumkrone, und hinterließ Hilfsbereitschaft und Hoffnung. Laut ersten Schätzungen marschierten bei "Mensch sein in ÖSterreich" über 20.000 Demonstranten und Demonstrantinnen vom Westbahnhof zum Parlament, im Gepäck eine klare Botschaft: Im Oktober geht unsere Stimme an das Menschenrecht und seine Vertreter. Und sonst an niemanden. Denn diese Art von Druck ist wohl die einzige Sprache, die Berufsdemokraten verstehen.

Auf Facebook erfreute sich die Demo 21k Zusagen, davon kamen mindestens 95%. Das entspricht einem kleinen Wunder. Weiß jeder, der schon mal eine Party organisiert hat. Manche brachten ihre Kleinkinder mit. Rüstige Senioren und Seniorinnen schwangen stolz ihre weißen Flaggen und stimmten in Sprechchöre ein. Alt marschierte neben jung, die Generationen bildeten gemeinsam ein Bollwerk gegen Rechtspopulismus.

Menschenrechte sind grenzenlos.
Philipp Grüll

„Es braucht dieses Engagement, wenn die Politik vergessen hat, dass Menschenrecht immer an erster Stelle steht“, ertönt Alexander Pollaks Stimme über Lautsprecher. Man solle „von den Flüchtlingen keine Dankbarkeit erwarten, sondern mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren“. Die Menge jubelt, schwingt ihre Fahnen, spendet tosenden Beifall. Aus abertausenden Kehlen tönen abertausende Stimmen. Und sind es nicht Stimmen und Stimmen allein, die Politiker erst zum Handeln motivieren?

So kurz vor den Gemeinderatswahlen hüten die Volksvertreter ihre Popularität wie ein Drache seinen Hort. In den letzten Monaten riefen Facebook-Gruppen, Liedermacher und Kleindemonstrationen wiederholt zu Menschlichkeit im Parlament auf – quasi erfolglos. Was fehlt, war der Anreiz. Und über 20.000 potenzielle Kreuze auf Wahlzetteln sollten für jeden Politiker Anreiz genug sein. Darum muss man demonstrieren. Darum muss man marschieren. Um die Regierung zur Menschlichkeit zu ködern.

Welcome
Philipp Grüll

Und anstatt sich auf so einen vagen Kampfbegriff zu verlassen, haben die Demonstranten klare Forderungen auf Transparenten und Lippen. Diane, Mitglied bei der Gewerkschaft GPA, pocht auf Arbeitsrecht für Asylbewerber. „Die einen sind bös, die anderen gut, die einen dürfen arbeiten, die anderen nicht? Das ist einer Arbeiterbewegung nicht würdig.“, erklärt sie. Lisa schickt auf ihrem Schild ORS verbal zum Teufel, „weil die ihre Aufgabe offensichtlich nicht auf die Reihe kriegen“, wie sie sagt. Andere wollen Dublin III fallen sehen, ganz nach deutschem Vorbild.

Und kaum war die Demo zu Ende, der letzte Gesang verhallt und die letzte Kerze erloschen, ließ man den Worten edle Taten folgen. Am Westbahnhof kam eine große Gruppe Flüchtlinge an. Dort wurden sie von helfenden Händen voller Wasserflaschen und Lebensmitteln empfangen. Noch während diese Buchstaben aus einem blinkenden Cursor auftauchen, nimmt die österreichische Zivilgesellschaft ankommende Schutzsuchende am Westbahnhof in Empfang.

Das gibt Hoffnung. Männer und Frauen fliehen vor Krieg und Elend, sie ziehen wochenlang durch fremdes Land, hungrig, durstig – und bekommen Montagnachts eine Flasche kühles Wasser in die Hand gedrückt. Die Welt ist grausam und wunderschön. Doch nur so grausam und wunderschön, wie wir sie machen. Ja, Migration wird einen Einfluss auf unsere Volkswirtschaft haben. Aber jetzt mal ehrlich. Was ist schon eine Rezession gegen Massensterben?

NOMORE
Philipp Grüll
Keine Grenzen
Philipp Grüll

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