Was sagen die Polen eigentlich zur Flüchtlingssituation?

18. September 2015

„Wir sind nicht dazu verpflichtet, den Flüchtlingen zu helfen. Die meisten von denen, die herkommen, sind sowieso nur junge Männer, die wahrscheinlich Terroristen sind. Solange Polen nicht seine eigenen wirtschaftlichen Probleme geregelt hat, sollten wir gar keine Flüchtlinge aufnehmen, unabhängig von deren Situation.“ sagt der 26-Jährige Pole Tadeusz aus Zakopane. „Die Muslime haben die Absicht, Europa an sich zu reißen, und uns alle nach und nach auszurotten.“

„Absaufen sollen diese schmutzigen Affen.“

Während die Mehrzahl meiner in Wien lebenden Freunde nach Traiskirchen fährt, regelmäßig am Hauptahnhof Schichten einlegt und in Gruppen wie „Flüchtlingshilfe Wien“ aktiv ist, heißt es für viele meiner polnischen Bekannten Train of Nope statt Train of Hope. 

Einige von meinen polnischen Facebook-Bekanntschaften sind einem Event namens „Wir wollen ein Volksbegehren gegen die Flüchtlingsaufnahme“ beigetreten. Mittlerweile nehmen schon über 20.000 Menschen daran teil.

Die Einträge und Kommentare in dem Event stehen denen in diversen rechten und FPÖ-Nahen Facebookgruppen aus Österreich um nichts nach, nur dass die Polen noch krasser im Schimpfen und Fluchen sind. Und mit political correctness haben sie es auch nicht so. Von „Absaufen sollen diese schmutzigen Affen.“ bis „Sollen die Eselficker zuhause bleiben und sich gegenseitig abschlachten“ ist alles dabei, kein Schimpfwort wird ausgelassen. Natürlich darf auch das obligatorische: „Ich bin ja kein Rassist, aber...“. nicht fehlen.

Ich wollte also wissen, wie die Stimmung in Polen bezüglich der Flüchtlingssituation ist. Kleiner Spoiler: Sie ist angespannt, wie überall. Die Menschen hier haben, vielleicht auch aufgrund der Geschichte, Angst vor Neuem, vor anderen Kulturen und vor massiven Veränderungen. Man sieht in Polen, vor allem in den Kleinstädten, nicht so viel Multi-Kulti. Die Menschen sind doch noch sehr voreingenommen, was andere Religionen und Hautfarben betrifft. Dabei sticht aber eines heraus: Die Angst als Leitmotiv.

Undercover-Jihadisten und Vergewaltiger

„Ich finde ja, dass man jedem Menschen helfen sollte, vor allem Kindern. Wir Polen könnten auch einmal in die Situation geraten, dass wir Hilfe brauchen und fliehen müssen. Aber ehrlich gesagt habe ich einfach Angst vor den Flüchtlingen. Sie nehmen uns unsere Jobs weg, können unsere Kinder vergewaltigen. Wer weiß, ob sie keinen Krieg bei uns auslösen werden? Das ist ja doch eine ganz andere Kultur. Also davor, vor diesem Kulturunterschied, habe ich wirklich Angst", sagt die 27-Jährige Dominika.*

Die 24-Jährige Magdalena, die aus demselben Dorf kommt wie Dominika, ist anderer Meinung:

„Ich verstehe nicht, wieso alle bei uns was gegen die Flüchtlinge haben. Polen emigrieren ja auch ständig in andere Länder, weil sie bei uns nicht so viel verdienen, und darüber redet dann keiner. Und Menschen, die vor dem Krieg flüchten müssen, sollte sowieso geholfen werden, wo es nur geht. Ich fände es aber gut, wenn sie hier arbeiten könnten, Steuern zahlen und alles machen können, was wir auch tun. Dann wäre es nicht mehr so problematisch.“

„Also ich will sie nicht hier haben. Das sind Undercover-Jihadisten, das habe ich in den Nachrichten gesehen. Mein Sohn ist gerade in die Schule gekommen und da geht es auch nur um das eine Thema, schon in der ersten Klasse. Das ist ja nicht mehr normal", erzählt die 24-Jährige Justyna*, die sehr aktiv in dem oben genannten Facebook-Event ist.

Biber-Redakteur Dawid, der wie Tadeusz aus Zakopane stammt, aber in Wien lebt, schämt sich für manche Aussagen seiner Landsleute:

„Für mich ist es peinlich, wie die Mehrheit der Polen über Flüchtlinge denkt. Viele haben Angst, dass sich der Lebensstandard für uns dann noch mehr verschlechtert. Aber das stört mich nicht. Eventuell muss man für die Menschlichkeit auf ein wenig Luxus verzichten in Zukunft. Das wäre nicht schlimm, solange man dadurch ein paar Tausend Menschen retten kann.“

„Ich will sie nicht hier, die tragen Kopftücher.“, sagt Jakub*, 22.

„Bei uns sind die Leute eh schon arm.“

„Ich finde schon, dass man sie aufnehmen sollte, aber unter gewissen Bedinungen. Sie sollen auf jeden Fall arbeiten und sich anpassen.“ sagt der 23-Jährige Aleksander aus Warschau.

„Das ist alles nur unnötige Panik, die Leute zucken alle aus, weil sie Angst vor Veränderung haben. Es werden sowieso nicht so viele nach Polen kommen, vor allem mit der Einstellung unserer Regierung nicht. Außerdem ist die Sprache extrem schwer zu lernen, das könnte ein weiteres Problem sein. Ich wäre aber auf jeden Fall dafür, sie aufzunehmen, das ist keine Frage. Man muss sich überall auf der Welt gegenseitig helfen.“, findet der 52-Jährige Grzegorz, der in Warschau wohnt.

„Ich habe Angst vor den Flüchtlingen. Die sind gewalttätig, sie haben eine andere Religion als wir. Wir haben so lange für die Freiheit in unserem Land gekämpft und jetzt sollen wir sie wieder aufgeben? Wieso helfen denen nicht die Golfstaaten? Bei uns sind die Leute sowieso schon arm“, meint die 20-Jährige Anna* aus einer Kleinstadt.

Natürlich fällt auf, dass die Menschen aus den größeren Städten andere Ansichten haben als die aus den Provinzen, irgendwie keine Überraschung. Es gab vor ein paar Tagen einen Vorfall in dem polnischen Dorf Janowice Wielkie in der Nähe von Breslau, als Touristen aus Malta wegen ihrer Hautfarbe für Flüchtlinge gehalten wurden und die Dorfbewohner die Polizei kontaktiert haben. Wir haben zwar das 21. Jahrhundert, viele stecken mit ihrem Gedankengut aber doch noch in der Vergangenheit. Und viele sind deshalb verwirrt.

Jetzt seid ihr dran“

Mein 85-Jähriger Opa, der sein Leben lang in einem 5000-Seelendorf in Polen wohnt, (und der partout nicht verstehen wollte, wieso man in einem Artikel anonyme Aussagen macht, deshalb lasse ich das einfach so hier stehen) fasst die Verwirrtheit der Polen so zusammen:   

„Ich hatte als gläubiger Katholik zuerst Bedenken. Wir kennen deren Religion hier nicht, das ist alles sehr fremd für uns. Aber ich finde, solange jeder seine Religion friedlich auslebt, geht das auch nebeneinander. Sie können auch gerne bei uns im Dorf eine Moschee hinbauen. Wenn daneben eine Kirche stehen kann, wieso sollte man dann etwas dagegen haben? Was mir zuerst auch nicht gefallen hat, war, dass die jungen Männer fliehen, anstatt für ihr Land zu kämpfen.

Wir sind ja auch nicht weggelaufen damals. Aber das waren andere Zeiten, das ist nicht dieselbe Situation wie bei denen, man kann das nicht Schwarz oder Weiß sehen. Viele Polen aus meiner Generation haben einfach Angst vor dieser fremden Kultur, weil sie nie damit direkt konfrontiert wurden. Wir haben durch den Krieg und den Kommunismus auch ein sehr voreingenommenes Weltbild, das stimmt schon. Aber wir Alten haben da eh nicht mehr viel mitzureden. Was mich wundert, sind junge Leute, die so denken.

Ihr seid eine ganz andere Generation. Eine, in der sich Kulturen vermischen und vermischen werden. Deshalb müsst ihr jetzt schauen, wie ihr euch zusammen eine Welt aufbauen werdet, in der ihr leben wollt. Und zwar unabhängig von Religion, Hautfarbe oder Kontinent. Ihr könnt aus der Geschichte lernen, die meine Generation durchgelebt hat. Wir haben schon genug Chaos durchgemacht. Jetzt seid ihr dran.“

Doch die, die „jetzt dran“ sind, die jungen Polen, die Großteils in ihrer nationalistischen Seifenblase leben, bleiben stur.

Tadeusz, von dem ganz am Anfang die Rede ist und der gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Polen ist, solange es noch große wirtschaftliche Probleme gibt, fragt mich, wie die Einstellung der Leute in Österreich zu der Sache ist. Ich erkläre ihm, dass hier die Menschen- aus meinem Umfeld zumindest- eher weniger Angst vor einer Kulturvermischung haben. „Hab ich mir schon gedacht, dass ihr das anders seht als ich“, sagt er. Er würde gerne, wenn es klappt, in zwei Jahren nach Wien ziehen. Zum Arbeiten.

 

*Namen geändert 

 

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Kommentare

 

echt guter blog. und opa ist king! :)

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