Wie ich lerne, euch die Meinung zu sagen

11. April 2016

Wenn ich mich selbst mit 5 Adjektiven beschrieben müsste, dann wären sie wohl schlagfertig, lustig, souverän nach außen, sensibel und mitfühlend. Besonders aufgrund der Kombination aus lustig und schlagfertig sowie sensibel und mitfühlend passiert es oft, dass ich mich in bestimmten Situationen für andere einsetze. Ich mag es nämlich überhaupt nicht, wenn ich merke, dass jemand benachteiligt, ungerecht behandelt oder auch übertrieben gehänselt wird. Selbst wenn es oft nur harmlose Hänseleien sind, merken viele Menschen einfach nicht, wann es genug ist und schießen übers Ziel hinaus. Sie merken auch nicht, dass ihr Gegenüber dabei selbst immer weniger lacht und immer stiller wird. Und dann kommt es schon mal vor, dass ich den verbal Unterdrückten heldenhaft mit meiner Schlagfertigkeit zur Hilfe eile. Ich benütze meinen Sarkasmus und meine Wortgewalt unbewusst oft dazu, anderen einen Spiegel vorzuhalten, denen offensichtlich vorübergehend jegliches Gespür für Situationen und andere Menschen verlorengegangen ist. Für mich gilt in solchen Fällen schlicht: Keine Wortgewalt ist auch keine Lösung. Und so mache ich von meiner Superpower Gebrauch.

So weit, so gut. Wie bei jede/r HeldIn ist jedoch auch meine Superpower lückenhaft. Denn so schlagfertig, lustig und redegewandt ich sonst auch bin – sobald es mich selbst betrifft, ist nichts mehr davon übrig. Ganz ehrlich, jedes Mal, wenn ich selbst mit Ungerechtigkeiten oder Unwahrheiten konfrontiert werde, schaffe ich es einfach nicht, mich entsprechend zu verteidigen. Ich bin dann oft so schockiert, dass mein ganzer Kopf leer wie eine Wüste ist, und von allen guten Argumenten, die ich vorbringen könnte, ist meistens gar nichts mehr übrig. Aus dem Bauch heraus merke ich, wie ich auch noch wütend werde, und dann geht überhaupt nichts mehr. Game Over. Ich möchte dann zwar etwas sagen, aber ich schnappe nur nach Luft und bringe keinen Ton heraus. Das ist eh noch die bessere Variante. Die andere Variante ist nämlich, in ein infantiles „Aber, aber, aber....“-Gestotter zu verfallen. Wie peinlich.

Im Nachhinein ärgere ich mich dann meist wahnsinnig über mich selbst. Millionen von brillanten Reaktionen fallen mir ein und ich male mir aus, wie ich sie dem Betreffenden ins Gesicht knallen hätte sollen. Früher bin ich deshalb Konfliktsituationen oft ausgewichen. Ich habe lieber von Vornherein darauf verzichtet, meine Meinung zu sagen, um nicht in eine solche Situation zu kommen. Nach 30 Jahren Lebenserfahrung weiß ich jedoch, dass das der denkbar schlechteste Weg ist. Dann wird zwar nach außen hin Harmonie gewahrt, aber in dir selbst brodelt es die ganze Zeit unterschwellig.

Also habe ich vor einiger Zeit damit begonnen, meine Meinung zu sagen, wenn es wichtig ist. Das klappt immer noch nicht so gut. Meistens ist es mehr ein Gestammel. Während ich da stehe und so etwas von mir gebe wie „Ähm… also….aber…ähm… weil… also… es ist doch so….“ schlüpft mein souveränes Ich aus meinem Körper, baut sich vor mir auf, die Arme in die Hüften gestemmt, mustert mich von oben bis unten, wie ich da stehe und stammle, mit einer hochgezogenen Augenbraue und sagt nur abschätzig: „Echt jetzt?“. Hey, immerhin stammle ich meine Meinung jetzt schon mal.

Jetzt heißt es eben auch Geduld mit mir selbst aufbringen. Ich werde weiter an mir arbeiten. Ich habe mir vorgenommen, mich stets gut vorzubereiten, meine Argumente wenn nötig aufzuschreiben, um sie nicht zu vergessen. Und ich habe mir vorgenommen, mir eventuell Bedenkzeit einzuräumen, bevor ich überhaupt auf etwas reagiere, um mich nicht überfahren zu lassen von der Dreistigkeit anderer.

Also schnallt euch lieber schon mal an und zieht euch warm an. Denn wenn ich in dem Tempo weitermache, dann geige ich euch in weiteren 30 Jahren voll die Meinung. Mit scharf.

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