Wir Sprachausländer

28. August 2011

Meine ersten richtigen Freunde hatte ich erst mit acht,  zwei Flüchtlingskinder aus dem Kosovo. In der 3a der Volksschule Bad Ischl standen nach Ankunft von M. und C. nun ganze drei kleine Außenseiter verloren im Pausenhof und wunderten sich, wie der Abstand zu den anderen derselbe blieb, sobald wir einen Schritt auf die Klassenkameraden zumachten. Drei Außenseiter, die eines verband: wir sprachen die Sprache der anderen nicht.

Völkerball

Wir Sprach-Ausländer bauten unsere eigene Parallelwelt auf und wurden von den anderen Mitschülern dabei tatkräftig unterstützt. Das Baumhaus bauten wir im dünkleren Wald hinter der Lichtung, weil wir von der sonnigen Anhöhe, wo alle bauten, verjagt wurden. Beim Völkerball bildeten wir stets ein eigenes Volk, auch wenn wir die vorgeschriebene Mindestzahl von 4 Personen unterschritten – nicht einmal Matthias, der ungelenke Sohn des Religionslehrers erbarmte sich und schlug sich auf unsere Seite. Da spielte er lieber in einer Mannschaft mit allen anderen und ließ sich im Anschluss verprügeln, wenn er den athletischen Jungsportlern wiedermal den Sieg kostete.

Die Isolation ging so weit, dass wir uns beim Autodrom-Fahren am Stadtfest gegenseitig rempeln mussten - die anderen machten einen großen Bogen um uns, denn selbst spielerische Agression hätte eine Art von Zuwendung und Integration bedeutet.

Ach Mutter

 

Zwei Jahre später, im Gynasium überstieg die Anzahl meiner Freunde die Anzahl meiner Finger. Ich war durchschnittlich beliebt und auf jedenfall integriert und sogar Klassensprecherin. Die Klassenkameraden unterschieden sich kaum von jenen aus der Volksschule, sie hießen anders, sprachen aber die gleiche Sprache, machten die selben Witze und waren genauso reserviert gegenüber allem Fremden. Nur war ich eben keine Fremde mehr, denn ich hatte endlich angefangn ihre Sprache zu sprechen: Bad Ischler Dialekt.

Es wirkte Wunder - wenn man als gebürtige Deutsche in Bad Ischl aufwuchs, Hochdeutsch sprach, wie von Muttern gelernt, während alle anderen Gleichaltrigen, im örtlichen Dialekt ratschten und jede Silbe noch extra stark betonten, um mir zu zeigen - du bist keine von uns, dann Dialekt lernte und sich plötzlich frei und unbeschwert auf der Sonnenseite im Tal bewegen konnte.

Meine Mutter hatte mir immer ans Herz gelegt, ich solle nicht Dialekt sprechen, denn angeblich höre sich das "bescheuert" an.

Auf die Toleranz der Mehrheitsgesellschaft zu setzen, wir mir das meine Mutter empfahl, brachte mich kein Stück weiter, denn political correctness ist für Kinder keine Kategorie. Und auch meine Mutter, die nun seit 25 Jahren im Salzkammergut lebt - und noch immer kein Wort Dialekt spricht - kam mit ihrer eigenen Philosophie nicht weiter: Sie hat nach wie vor wenige Freunde und ihre Integration lässt zu wünschen übrig.

Dirndl und Dialekt

M. und C. hab ich nach der Volkschule aus den Augen verloren, weil ich mich auf meine neuen Freunde aus der Mehrheitsgesellschaft konzentrierte. M. ist angeblich Verkäufer in einem Handyzubehörgeschäft nicht unweit von Bad Ischl und dreht den Kunden seine Ware im örtlichen Dialekt an. C. soll einen Bad Ischler geheiratet haben und hie und da die Tracht tragen.

Ich hab noch immer kein Dirndl, bleibe beim Trachtengeschäft aber immer öfters und länger stehen. Wenn ich aus der Wahlheimat Wien komme und meine Freundinnen aus dem Gymnasium treffe, machen sie mich auf jedes falsche Dialaktwort, dass durchs Wienerische korrumpiert wurde, aufmerksam und ich bin ihnen gar nicht böse - Sprach-Ausländerin, bleibt Sprach-Ausländerin. Ich freue mich vielmehr, wenn sie sich auf ihrer nächsten Wienreise meiner Übersetzungsarbeit bedienen, in meiner Wohnung um Asyl ansuchen und ich sie in den Prater zum Autodrom fahren schleife, wo sie als Ischler Minderheit von Türkenbuben so richtig angebumst werden.

 

 

 

 

 

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