And if I devoted my life to one of its feathers?

20. Mai 2021

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Kunsthalle
Amoako Boafo, Gold Plant, aus der Serie Detoxing Masculinity, 2017. © Bildrecht Wien, 2021

Die neue Ausstellung der Kunsthalle Wien in Zusammenarbeit mit den Wiener Festwochen thematisiert Umweltzerstörung, Misogynie, Kolonialismus, soziale Ungleichheit und vieles mehr. BIBER sprach mit Kurator Miguel A. López.

Interview: Nada El-Azar

BIBER: Wir führen dieses Gespräch hier via Zoom von Wien nach Lima, leider konnten Sie aufgrund der aktuellen Reisebestimmungen nicht zur Eröffnung kommen. Sind Sie mit dem Ergebnis der Ausstellung zufrieden?

MIGUEL A. LÓPEZ: Die Ausstellung ist, meiner Meinung nach, wirklich toll geworden. Ich wünschte sehr, ich hätte bei der Eröffnung dabei sein können! Die Kunsthalle war großzügig und hat mir sehr viel Raum und Freiheit gegeben, unerwartete Konversationen zu kreieren. Die Ausstellung ist nicht unterteilt in thematische Abschnitte, daher können die Besucher*innen selber ihre Verbindungen zwischen den Werken finden.

Kunsthalle
Ausstellungsansicht: And if I devoted my life to one of its feathers, Kunsthalle Wien 2021, Foto: © eSeL.at - Lorenz Seidler

Als WHW die Leitung der Kunsthalle übernahmen, versprachen sie, auch internationale Kuratoren zur Gestaltung von Ausstellungen einzuladen.

Genau, um auch neue Perspektiven der sogenannten globalen zeitgenössischen Kunst in die Ausstellungsräume zu bringen, aus unterschiedlichsten Orten wie dem Globalen Süden. Ich wurde eingeladen, der erste Gastkurator zu sein.

Der Titel „And if I devoted my life to one of its feathers?” ist sehr zärtlich und poetisch. Wie wurde er zum Namen der Ausstellung?

Das Zitat stammt aus einem Gedicht der Autorin und Aktivistin Cecilia Vicuña. Sie verließ ihre Heimat Chile in den 70er Jahren während der Militärdiktatur, ohne Option auf eine Rückkehr. Seit vielen Jahren arbeiten wir zusammen, ich habe auch ihre Retrospektive in Rotterdam kuratiert. Das Zitat ist ein Element aus vielen Diskussionen, die ich mit Cecilia führe, über die tiefere Bedeutung von Heilung. Es ging immer wieder um die Frage, wie wir die Balance zwischen irdischen Lebensformen und spirituellen Formen wahren können. Das Gedicht wurde in den späten 60ern verfasst und war inspiriert von einem Kolibri, der einst gegen Cecilias Fensterscheibe flog. Sie war damals ein Teenager und fand es traurig, diesen sterbenden Kolibri zu sehen. Daraufhin stellte sie sich die Frage, wie es denn wäre, ihr eigenes Leben einer seiner Federn zu widmen und dachte auch über das Zusammenspiel von Mensch und Natur nach. Für mich ist diese Frage auch die Schnittstelle zwischen Leben und Tod, und der menschlichen Welt mit der nicht-menschlichen. Eines der zentralen Werke der Ausstellung ist der „Burnt Quipu“, eine Installation aus Wolle von Cecilia Vicuña, die auf die Feuer im Amazonasgebiet reagiert.

Eigentlich hätte die Ausstellung im Mai 2020 eröffnen sollen. Hat die Aufschiebung auch gute Seiten gehabt?

Die Verschiebung gab mir und den über 35 vertretenen Künstler*innen eine gute Gelegenheit, um die Ausstellung nochmals zu überdenken. Wir haben einige von ihnen auch beauftragt, neue Arbeiten für die Ausstellung zu produzieren, wie etwa Sophie Utikal. Sie hat eine Textilcollage über den Sturz kolonialer Denkmäler geschaffen. Oder auch den indigenen Künstler Santiago Yahuarcani, der aus dem Amazonasgebiet stammt. Er hat sechs Gemälde produziert, die seine Covid-Erkrankung thematisieren, die einerseits aufzeigen wie sehr die Indigenen zurückgelassen wurden in der Krise. Andererseits inkorporiert er auch naturmedizinisches Wissen der Stämme und wirft die Frage nach einem multikulturellen Gesundheitsprogramm auf. Für mich ist es interessant zu zeigen, was nicht-westliche, indigene Medizin alles zu den vorherrschenden Methoden beitragen könnte.

Was erwartet die Besucher*innen in der Ausstellung?

Die Ausstellung hat sich zum Ziel gesetzt, einen Dialog zu gesellschaftlicher und politischer Veränderung zu kreieren, mit transfeministischen, postkolonialen und indigenen Standpunkten aus unterschiedlichen Teilen der Welt zu Ausbeutung, Umweltzerstörung und kolonialem Erbe.

Ein anderes großes Thema in der Ausstellung ist Misogynie. In Österreich herrscht momentan eine große Debatte um Femizide. Wie kann Kunst auf solche virulenten Probleme antworten?

Damit habe ich mich schon in meinem letzten Buch „Dissident Fictions in the Land of Misogynie“ sehr intensiv beschäftigt. Es war ein Versuch, die Rolle von Kunst und politischer Kreativität in Bezug auf Misogynie zu überdenken, besonders in Bezug darauf, wie diese unser Zusammenleben prägt. In der Ausstellung wird man auch vielen Textilarbeiten begegnen, die Handwerksformen des Quilting und der Stickerei aufgreifen.

Kunsthalle
Quishile Charan, Burning Ganna Khet [Brennende Zuckerrohrfarm] (Produktionsfoto), 2021, Foto: Raymond Sagapolutele

Das sind Kunstformen, die lange Zeit nicht als solche anerkannt werden, weil sie als Frauenarbeit abgetan wurden.

Ganz genau. Einerseits ehren diese Stücke Frauenarbeit, andererseits verkörpern sie die Schnittstelle von Tradition und experimenteller Kunst. Die nicaraguanische Künstlerin Patricia Belli addressiert mit ihren weichen Skulpturen Macht und maskuline Autorität, und wie sie sich in den weiblichen Körper einschreiben. Oder auch die indo-fidschijanische Textilkünstlerin Quishile Charan, die neue Werke produziert hat, welche sich auf koloniale Narrative, Frauenarbeit und feminine Praktiken beziehen. Die Art und Weise, in der sich Misogynie in unserer Gesellschaft normalisiert hat, gehört hinterfragt. In Österreich, wie hier auch in Peru oder den USA, haben sich patriarchale Strukturen und die Unterdrückung von (Trans*-)Frauen im großen Maßstab eingefunden, deshalb muss Kunst den öffentlichen Raum auf eine andere Art erobern.

Kunsthalle
Germain Machuca, Las dos Fridas / Sangre Semen / Línea de vida [Die zwei Fridas / Blut Samen / Lebenslinie], 2013, Foto: Claudia Alva, Courtesy der Künstler und Museo de Arte de Lima

Inwiefern hat die Corona-Pandemie die Themen der Ausstellung geprägt?

Von Anfang an war klar, dass es nicht nur um die Gesundheitskrise, sondern über die Krise der Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit im weiteren Sinne gehen soll. Die Pandemie hat zwar die ganze Welt getroffen, aber die Auswirkungen sind sehr ungleich verteilt, wie man zum Beispiel an den Impfraten im internationalen Vergleich merkt. Die Pandemie war eine gute Möglichkeit, um strukturelle Ungleichheiten aufzuzeigen. Gleichzeitig passierte auch eine Wende in Sachen Antirassismus und dem Umgang mit kolonialen Denkmälern, wie vielerorts im Globalen Norden zu beobachten war. Auch in Kolumbien haben indigene Communitys ihre Stimmen erhoben.

Miguel Lopez
Kurator Miguel A. López (C)Daniela Morales Lisac

Welche Beziehung haben Sie mit der Stadt Wien?

Ich habe 2013 etwa sechs oder sieben Monate in Wien gelebt. Meine Partnerin hat damals ein PhD-Programm an der Akademie der Bildenden Künste gemacht, deswegen zog ich mit ihr hier her. Mir hat es in Wien sehr gut gefallen und ich schätze die Zeit dort sehr, vor allem auch weil ich in Berührung mit der heimischen Kunst- und Undergroundszene kam.

Was bedeutet die Ausstellung Ihnen persönlich?

Die Ausstellung war eine Möglichkeit für mich, eine Verbindung zu meinen Wurzeln in den Anden zu finden. Mein Vater wuchs in einer ländlichen Gegend der Anden auf und zog in den 60ern in die Stadt. Durch das gewaltsame politische Klima im Guerilla-Krieg in Peru war es unmöglich zu dem Ort, an dem mein Vater geboren wurde, zurückzukehren. Meine Arbeit mit Cecilia hilft mir auch dabei, meinen Platz in der Welt zu überdenken.

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„And if I devoted my life to one of its feathers” ist bis zum 26. September 2021 in der Kunsthalle Wien im MuseumsQuartier zu sehen. Jeden Donnerstag ist von 17 bis 21 Uhr freier Eintritt! 

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Zur Person:

Miguel A. López (geb. 1983 in Lima) ist Autor und Wissenschaftler. Er lebt und arbeitet in Lima. López untersucht kollaborative Dynamiken und Transformationen in der Verständigung über und Auseinandersetzung mit lateinamerikanischer Politik in den letzten Jahrzehnten sowie feministische und queere Neuartikulationen von Geschichte aus der Perspektive des Südens.

 

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