„Der salafistische Lifestyle wird maßgeblich vereitelt, wenn diese Kleidung nicht mehr zulässig ist.“

19. Februar 2021

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Burka
Die Debatte um ein Gesichtsverhüllungsverbot hat in der Schweiz eine Grundsatzdiskussion über die islamische Vollverschleierung losgetreten. (C)Jürgen Scheffer/pixabay

In unserem Nachbarland, der Schweiz, erhitzt die Diskussion um die bevorstehende Abstimmung über ein Gesichtsverhüllungsverbot am 7. März 2021 die Gemüter. Rechtsanwalt Emrah Erken lebt in Zürich und ist Gründer der Facebook-Gruppe „Before Sharia spoiled everything“, die sich um das vormals säkulare Leben in islamisch geprägten Ländern dreht und mittlerweile fast 17.000 Mitglieder zählt. Mit ihm sprach BIBER über die politische Relevanz eines Verhüllungsverbots in Zeiten der Pandemie.

Interview: Nada El-Azar

BIBER: Wie kommt es zu der Abstimmung über ein Gesichtsverhüllungsverbot am 7. März, mitten in der Corona-Pandemie?

Emrah Erken: Eingereicht wurde die Initiative im September 2017. Ich habe aber das Gefühl, dass diese Abstimmung bewusst im Zeitpunkt der Coronakrise angesetzt wurde. Der Abstimmungstermin wurde sehr kurzfristig erst Ende letzten Jahre festgelegt. Im Text der Initiative ist der medizinische Grund übrigens ausdrücklich als Rechtfertigung erwähnt. Corona wird hoffentlich ja auch irgendwann mal vorbei sein. (lacht) Wir haben jedenfalls sehr wenige Niqab-Trägerinnen in der Schweiz und das Islamismusproblem ist in Österreich wesentlich akuter als hier bei uns. Es sind vorwiegend saudische Touristinnen oder aus Golfstaaten, die in der Schweiz vollverschleiert in Erscheinung treten. Aber selbst diese dürften sich auch an ein Verbot anpassen, wie man in Österreich nach Inkrafttreten des Vermummungsverbots in Zell am See beobachten konnte.

Burka
Viele Gegner des Verhüllungsverbots befürchten den Ausfall von Touristen aus Saudi Arabien und den Golfstaaten. (C)Zibik/pixabay

Handelt es sich bei der Initiative um eine Grundsatzdiskussion zum Thema islamische Vollverschleierung?

Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass es sich bei dieser Initiative überhaupt nicht um ein Verbot von Burkas und Niqabs handelt. Es geht ganz allgemein um Gesichtsverhüllung und ist auch deshalb auch relevant im Umgang mit Hooligans, die gemäss Initianten ausdrücklich mitgemeint sind. Weder das Wort Burka, noch Niqab, noch Islam werden im Text der Initiative erwähnt. Vielmehr geht es um die von den Initianten geltend gemachte Kultur in der Schweiz, dass wir hier unser Gesicht zeigen und dass dies Teil der hier üblichen Kommunikation ist.

Warum bekommt man trotzdem den Eindruck, es würde um den Islam gehen?

Das Problem ist, dass die Urheber der Gesichtsverhüllungsinitiative – das Egerkinger Komitee – vor etwas mehr als einem Jahrzehnt für eine Minarett-Verbot-Initiative verantwortlich waren, die vom Volk und Ständen angenommen wurde. Deshalb wird deren Verhüllungs-Initiative ebenfalls mit dem Islam in Verbindung gebracht und auch ihre Werbung spricht eine eindeutige Sprache. Damit ist die Debatte um Hooligans letztlich irgendwo eine Stellvertreterdiskussion. Das ist zugegebenermaßen auch recht durchschaubar und etwas plump von den Initianten. Über das regen sich auch verständlicherweise andere Parteien auf. Außerdem sind SVP-Politiker in der Vergangenheit nie als Verteidiger von Frauenrechten in Erscheinung getreten, weshalb ihnen Scheinheiligkeit vorgeworfen wird. Aber es gibt auch liberale Leute wie mich, welche die Vollverschleierung aus prinzipiellen Gründen ablehnen, teilweise auch aus Gründen unserer Herkunftskultur, was bei mir sicherlich auch eine Rolle spielt. Bei vielen Menschen, die ursprünglich aus islamisch geprägten Ländern stammen, ist Vollverschleierung ein Tabu. Selbst in vielen konservativen muslimischen Gesellschaften, in denen der Islam orthodox gelebt wird und der Hijab im Alltag sichtbar ist, sind Burka und Co. ein No-Go. In diesem Falle ist mir egal, wer die Initiative eingereicht hat. Ich werde sie bejahen.

In Österreich kam es beim von der FPÖ gestellten Kinderkopftuchverbot zu ähnlichen Diskussionen, wo letztlich viele Linke gegen das Verbot waren, weil sie in Opposition zur FPÖ und ihrem Anti-Islam-Kurs stehen. Sind die Absender einer Initiative denn immer wegdenkbar?

Richtig, aber in der Schweiz gibt es einen ganz entscheidenden Unterschied, den hierzulande leider auch viele Linke nicht verstehen: Nachdem eine Initiative eingereicht wurde, ist sie dem Willen der Urheber praktisch entzogen. Es gibt eine gewisse Frist, in der die Gesichtsverhüllungs-Initiative hätte zurückgezogen werden können. Danach ist sie Gegenstand der Öffentlichkeit. Und bei der Auslegung ist der Wortlaut im Entwurf für den Stimmbürger ganz maßgeblich, und nicht das eigentliche Ziel der Initiatoren. Das ist direkte Demokratie. Um ein gutes Beispiel zu nennen: Wir hatten 1993 eine Abstimmung über die Einführung eines Nationalfeiertags. Diese Initiative wurde von den rechtsextremen Schweizer Demokraten lanciert. Das sind richtige Rechtsextreme – und nicht nur so „SVP-rechts“. Die Partei gibt es nur heute noch in bestimmten Kantonen. Die „1. August-Initiative“ wurde von allen Parteien und dem Bundesrat begrüßt und ist bis heute die mit höchster Zustimmung angenommene Volksinitiative aller Zeiten. In einer direkten Demokratie muss man Sachfragen unabhängig von ihren Absendern betrachten.

Religiöse Frauenverbände in der Schweiz haben sich gegen das Verhüllungsverbot ausgesprochen, mit dem Argument, dass es „religiöse Bräuche“ missachte. Wie stehen Sie dazu?

Das ist in der Tat ein wenig skurril, denn muslimische Frauen, die in der Schweiz säkular leben, würden sicherlich für diese Initiative stimmen. Die Vollverschleierung existiert in islamischen Ländern wie Tunesien oder Marokko nur in verschwindend geringen Zahlen auf und beschränkt sich im großen Stil nur auf ganz spezifische Gebiete. Diejenigen, die in der Schweiz vollverschleiert leben, sind überwiegend Konvertitinnen.

Ist die Kritik, dass sich im Falle eines Verbots die betroffenen Frauen nicht mehr an der Gesellschaft teilhaben wollen, gerechtfertigt?

Das ist eigentlich genau das, was ich will. Wenn diese Kleidung nicht mehr zulässig ist, wird der salafistische Lifestyle maßgeblich vereitelt. Wenn man diesen nicht mehr praktizieren kann, passt man sich eben an – wobei ich nicht denke, dass das passieren wird. Viel eher wandern die Betroffenen an einen Ort aus, wo die Vollverschleierung der Norm entspricht. Natürlich ist das ein wenig fies und diskriminierend. Aber 2010 hat Nicolas Blancho vom Vorstand des „Islamischen Zentralrats in der Schweiz“ (IZRS) bei einem öffentlichen Fernsehauftritt die Steinigung von Ehebrechern in einer TV-Diskussion verteidigt. Vor ziemlich genau drei Jahren hat der IZRS öffentlich die weibliche Genitalverstümmelung gebilligt. Zudem machen sie ständig Werbung für Polygamie. Solche Organisationen verlieren ein Stück weit ihren Handlungsspielraum durch Maßnahmen wie ein Verhüllungsverbot. Das hat nichts mit Islam- oder Ausländerhass zu tun. Diese Leute sind nicht einmal Ausländer, sondern echte Schweizer! Ganz ehrlich, ich möchte so etwas in diesem Land einfach nicht haben.

Emrah Erken
Emrah Erken gründete im Dezember 2017 die Facebook-Gruppe "Before Sharia spoiled everything", die fast 17.000 Mitglieder zählt. Foto: privat

Amnesty International Schweiz hat sich in einer Stellungnahme gegen das Verhüllungsverbot ausgesprochen, weil dies Ressentiments gegen den Islam schüren würde. Gleichzeitig setzt man sich dort jedoch für Frauen im Iran ein, die sich gegen den Kopftuchzwang aufgelehnt haben und mit Folter- und Gefängnisstrafen konfrontiert werden. Wie geht das zusammen?

Meine Mitgliedschaft bei Amnesty International habe ich damals schon zurückgezogen, als sie sich gegen das Burkaverbot in Tessin gestellt haben. Eigentlich hätte das schon davor passieren sollen, weil sie sich seiner Zeit für Erdogan eingesetzt haben, nachdem er ein volksverhetzendes Gedicht aufgesagt hat. Ich habe das einmal vollständig übersetzt – es war zum Haare raufen, wofür sich Amnesty da eingesetzt hat und was aus der Türkei geworden ist. Dieser ständige Einsatz für Islamisten ist für mich derart verkehrt, dass ich seit Jahren Menschen dazu animiere, auszutreten und kein Geld mehr zu spenden. Ich selbst war ein langjähriges Mitglied.

Es gibt offensichtlich ein Problem in linken und humanistischen Kreisen, sich gegen rechtskonservative Strömungen bei Muslimen aufzulehnen. Warum ist das so?

Das ist einfach der Zustand der Welt. Die Islamisten in der Türkei wurden beispielsweise von linken Muslimen immer als rechtsextrem wahrgenommen. Heimischen Linken ist dies nicht bewusst – in der Konfrontation durch jemanden wie mich sind sie völlig düpiert. Ich versuche bei diesen Menschen online ständig mit Fotos vom Ku-Klux-Klan anzuecken und stelle Verbindungen zu Religiosität und rassistischen, salafistischen Hasspredigern her. In der Welt vieler Menschen existiert Rassismus nur in einem christlichen, weißen Kontext – gestützt durch die Postcolonial Theory, die sich in der heutigen Zeit über alles stülpt. Kolonialisierung und Sklavenhandel ist und war aber niemals nur eine „weiße“ Angelegenheit und das wollen viele nicht wahrhaben.

Wer spricht sich in der Schweiz explizit für das Recht aus, eine Burka zu tragen?

Neulich hat sich der Schweizer Journalist Daniel Binswanger von der Zeitschrift Republik.ch beschwert, dass in der „Arena“-Diskussionssendung zum Thema Vollverschleierung keine einzige Vollverschleierte eingeladen wurde. Das hat allerdings damit zu tun, dass sich solche Frauen öffentlich gar nicht dazu äußern wollen. Und Nora Illi, die im Vorstand des IZRS war und die wahrscheinlich die lauteste Verfechterin der Vollverschleierung ist, ist mittlerweile an einer Krebserkrankung verstorben. Dass sie aber so prominent zum Thema aufgetreten ist, hat nichts mit der Verhüllung zu tun, sondern mit der Tatsache, dass sie in der Schweiz sozialisiert gewesen ist. Eine Dokumentarfilmerin vom SRF hat im Jahr 2017 einen Film über saudische Touristen in der Schweiz gedreht und konnte keine einzige Vollverschleierte interviewen, weil es deren Ehemänner nicht erlaubt haben. Selbst bei jenen Ehepaaren, wo der Mann seine Frau aufforderte etwas zu sagen: Die Frauen enthielten sich lieber jedweder Meinung. Das passt einfach nicht zusammen.

In Österreich wurde neulich ein Kopftuchverbot für Volksschulkinder nach Inkrafttreten für verfassungswidrig erklärt und gekippt. Könnte so etwas auch in der Schweiz passieren?

Unmöglich. Denn das Schweizer Bundesgericht hat keine Kompetenz, eine angenommene Volksinitiative, welche immer auf eine Verfassungsänderung ausgerichtet ist, auf ihre Verfassungswidrigkeit zu überprüfen. Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass das Ganze irgendeinmal vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg landet, aber die Erfolgschancen einer solchen Beschwerde erachte ich als gering.

 

Weiter lesen:

Bevor die Scharia alles zerstörte / 2017

Informationen zur Volksabstimmung am 7. März 2021

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