Der Teufel trägt Fjallraven – Ich war als verplante Anfängerin auf der Berliner Fashion Week

20. Januar 2017

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Das wunderbare verschwommene Outfit unserer Autorin
Das wunderbare verschwommene Outfit unserer Autorin

Ein kalter Windstoß bläst mir entgegen, als ich in meinen dreckigen Plateau-Sneakers die Treppe der Berliner U-Bahn Station Rosenthaler Platz hinaufstolpere. Der Zipp in meinem Parka ist kaputt und die Kordeln meines glitzernden Hipster-Turnsackerls schleifen auf dem schmutzigen Boden. Ich blicke hinunter und bemerke, dass ich zwei unterschiedliche Socken trage. Aber es bleibt keine Zeit, sich über solch mondäne Dinge Gedanken zu machen: In wenigen Minuten geht für mich die Mercedes Benz Fashion Week Berlin los. Wird schon passen, es ist immerhin Berlin und nicht Paris. Ich laufe natürlich dank meiner hervorragenden Orientierung zuerst in die falsche Richtung, und werde dabei ungefähr fast dreimal von schwarzen Fahrzeugen mit der Aufschrift „Mercedes Benz Fashion Week Berlin 2017“ angefahren. Das ist der Shuttle für die wichtigen Leute. So weit bin ich (noch) nicht, das U-Bahn Ticket muss vorerst reichen. Und in der Kälte herumrennen härtet eh ab.

Kim Jong-Un Klon mit Pelzschweif

Keuchend erreiche ich die Location und fühle mich ein wenig wie ein schüchternes Kind am ersten Schultag. Komplette Reizüberflutung. Bussi-Bussi hier, Klick-Klack mit den High-Heels da. Sonnenbrillen in geschlossenen Räumen. Ein Typ, der aussieht wie Kim Jong-Un und eine Tick-Trick und-Track-Mütze trägt. Ihr wisst schon, so eine Pelzmütze mit Schweif. Schnell wird mir klar: Die Fashionweek in Wien ist ein Kindergeburtstag dagegen. Ich bin hier bei den Großen angelangt. Los geht’s mit der Lena Hoschek Show. Wie es genau war, könnt ihr übrigens in unserem Februarheft nachlesen. Spoiler: Es ging zu, wie in einer verrückten Puppenstube.

Lena Hoschek Show
Lena Hoschek Show

Der Teufel trägt Fjallraven

Ich erblicke ein paar ehemalige Germanys-Next-Topmodel-Kandidatinnen und muss darüber schmunzeln, wie sehr mein 14-jähriges Ich wohl ausgezuckt wäre. Ich sehe mit meinem Turnbeutel gerade selbst etwas aus wie 14,  aber wenn man einen Tag vor der Fashion Week draufkommt, dass man keine einzige „erwachsene“ Tasche besitzt, muss man halt improvisieren. Und ich behalte Recht: Bei der Berliner Fashion Week ist es wirklich egal, was du trägst. Von schrägen Vögeln, über zugekleisterte Tussis bis hin zu „Not sure if Hipster or Homeless“- Vertretern findet man hier alles vor. Degradierende Blicke a la „Teufel trägt Prada“ sucht man hier aber vergeblich. Im Gegenteil: Es herrscht eine unglaubliche Harmonie in diesem Chaos. Fjallraven-Rucksäcke und Chaneltaschen ergänzen sich gegenseitig. Man hat den Eindruck, als wäre jeder, der hier professionell involviert ist, 100 % bei der Sache. Und gleichzeitig haben alle Spaß.

Ich glaub', das ist jetzt in
Ich glaub', das ist jetzt in

Goodies von der Sorte Haramstufe Rot

Diese Vermutung bestätigt sich spätestens an diesem Abend bei der Lena Hoschek Afterparty im Berliner Club Kitty Cheng. Als wir ziemlich zu Beginn ankommen, ist die Feier schon in vollem Gange. Die Bar hat einen burlesqueartigen Flair, es ist dunkel, verraucht und verrucht. Die Meute tanzt zu Tönen von Falco, Boxen mit Doughnuts in allen Geschmacksrichtungen gehen herum, Lena Hoschek selbst strahlt und heimst von allen Seiten Lob ein. Die Stimmung ist top. Ich erblicke sogar ein paar bekannte Gesichter aus Film und Fernsehen. Was mein 14-jähriges Ich wohl dazu sagen würde, dass sie in ein paar Jahren auf so einer Feier landet? Sie würde es mir nicht glauben. Spätestens als ich beim Hinausgehen die Goodies in die Hand gedrückt bekomme, weiß ich: Sie wäre schockiert. Als Geschenke gibt es Sex-Utensilien wie Vibratoren, Kondome, Massageöle und allerhand anderes Unchristliches. Haramstufe rot. Wie es das Schicksal so wollte, musste ich am Flughafen übrigens mein Gepäck öffnen, was den Securities das ein oder andere Schmunzeln bescherte, als sie den Inhalt sahen. Falls es eine Watchlist für vermeintliche Sexshop-Plünderer gibt, stehe ich jetzt wahrscheinlich drauf. 

Lena Hoschek Aftershowparty
Lena Hoschek Aftershowparty

Brandenburger Tor statt Berghain

Ich überlasse an diesem Abend das Weiterfeiern lieber der wilden Berliner Jugend und begebe mich wie die Renterin im Teenieoutfit, die ich bin, um 23 Uhr nach Hause, um am nächsten Tag weiter in die Welt der Reichen und Schönen schnuppern zu können, und mir zumindest ein paar Eindrücke von der Stadt zu beschaffen. So auf Brandenburger Tor statt Berghain.

Holocaust-Selfies sind leider im vollen Gange

Die Profilbild-Sessions beim Holocaust-Denkmal laufen übrigens auf Hochtouren, es ist wirklich kein Gerücht. Nimmt das jemals ein Ende?Widmen wir uns lieber den Fotoshootings, die weniger geschmacklos und grauenhaft sind: Vor den Locations der MBFW hört man von Bloggern den obligatorischen Satz „Komm, lass einen guten Hintergrund suchen und noch ein paar Bilder machen“ und „Hier ist gutes Licht, schnell, jetzt!“. Übrigens geht hier ohne mobilen Handyakku gar nichts. Die meisten laufen mit riesigen Akku-Packs herum, in sein Handy zu Snapchat labern ist hier so en vogue wie nirgendwo sonst. Wie das alles wohl noch vor fünf Jahren ausgesehen hat?

Das musste sein, okay?
Das musste sein, okay?

Fashion vom Bahnhof Zoo

Als ich mich mit meiner Kollegin kurz zum Verschnaufen auf die Fensterbank vor eine Location setze, kommt prompt ein Fotograf auf uns zu und fragt, ob er uns fotografieren kann. Meiner Meinung nach sehen wir zu dem Zeitpunkt mehr nach Bahnhof Zoo und weniger nach Berliner Fashion aus, aber ich vermute stark, dass das mittlerweile so ziemlich dasselbe ist. Also habe ich mit meinen abgetretenen Sneakers wohl irgendwas richtig gemacht, wat?

 

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