Doyçlender: Almancı

20. Oktober 2015

„Migration, du bist im Ernst ganz ehrlich eine kleine hinterfotzige Schlampe!” (Aus Doyclender: Almanci)

Wir Auslandstürken haben mit einigen Etiketten zu kämpfen. In Österreich sind wir die Protagonisten der ewigen Integrationsdebatte, die Vorzeige-Integrationsunwilligen sozusagen. In der Türkei hingegen treten wir in TV-Sendungen in Gestalt von Volldeppen auf, die weder Türkisch noch Deutsch sprechen und neben schlechtem Humor auch noch über einen sehr schlechten Sinn für Ästhetik verfügen. Während die erste Generation mit ihrem roten-Mercedes-Fetisch von der Rückkehr in die Heimat träumt, sprechen die neuen, gut ausgebildeten „Almancıs” vom Auswandern. Eine Definition von einer länderspezifischen Heimat existiert so gar nicht für die meisten. (Siehe auch Atas Blog dazu: Ich bin Deutschtürke). Immer mehr wagen den Versuch und machen sich auf zu einem Abenteuer, mit dem Wunsch nach mehr Identifikation und mitunter auch getrieben von der Hoffnung auf ganz große Karrieresprünge in der Megametropole am Bosporus. Die Entscheidung zwischen einem geregelten Leben in Österreich versus dem unbekannten Chaos ist eine emotionale Geisterbahnfahrt. Hier setzt auch das Stück "Doyçlender: Almancı' an. Am 27. Oktober 2015 feiert das Stück im Werk X - Eldorado seine Premiere und gewährt uns einen Einblick in die widersprüchliche Gefühlswelt der neuen Almancis. Wir haben mit Asli Kislal, Alev Irmak und Daniel Keberle über das Stück und über ihren persönlichen Bezug dazu unterhalten.

 

Biber: Almancı (Deutschländer) – das ist schon ein ziemlicher Klotz in unser aller Leben. Habt ihr einen speziellen Bezug dazu? Alev: Hattest du das Gefühl, dass du in Istanbul als Almancı anders behandelt wurdest?

Alev: Der Begriff an sich ist auch für mich eher negativ besetzt. Ich hatte aber nie das Bedürfnis wirklich dagegen anzukämpfen. Mich stört es nur, wenn ich Probleme habe, mich richtig auszudrücken und wenn Menschen keine Geduld aufbringen und mir keine Zeit geben, wenn ich grad mal wieder nach den richtigen Wörtern suche. Da werde ich etwas grantig. Das war oft auf Ämtern der Fall.

Asli: Ich bin da viel radikaler gegenüber diesen Klischees. Ich diskutier' dann auch wirklich beinhart drüber. Es gibt noch immer dieses Bild der Gastarbeiter in den Köpfen der Menschen. Bilder von Menschen, die halt vom roten Mercedes träumen und weder dort noch hier zuhause sind. Aber das ist inzwischen echt überholt, wie man es an unserem Beispiel auch sehen kann - Schauspieler, Kunstschaffende, PolitikerInnen, Anwälte, wir sind über diese  Klischees längst hinausgewachsen.

Biber: Worum geht es in dem Stück „Doyçlender: Almancı“?

Asli: Es ist eigentlich zum Teil die Geschichte von Alev und Daniel, die sich eben entschlossen haben, für einige Monate in Istanbul zu leben und zu arbeiten. Es handelt viel von der inneren Zerrissenheit, ob und überhaupt Alev das machen will oder machen sollte. Aber es ist auch die Geschichte vom Autor Emre selbst, die dem Publikum direkt erzählt wird. Lustigerweise hat sich Emre nach dem Stück entschieden, in der Türkei zu bleiben und das war ebenfalls ein inneres Hin und Her. Es geht zum einen um die innere Zerrissenheit bevor man Wien verlässt und dann eben die Erfahrungen in Istanbul. Erzählt wird aus unterschiedlichen Perspektiven.

Biber: Alev und Daniel, wieso habt ihr euch eigentlich dazu entschlossen nach Istanbul zu gehen?

Alev: Ich hatte das Gefühl, dass ich einfach im ganzen Trott hier einschlafe. Ich brauchte einen neuen Energieschub. Dann waren eben die Gezi-Proteste und ich fand die Ereignisse wirklich spannend und dachte, dass die Energie dieser Menschen auch mich wieder erwecken wird können. Ich musste einfach weg, um wieder gerne zurückkommen zu können. Als ich dann Daniel davon erzählt habe, war er sofort begeistert – wie man es auch im Stück sehen wird. Danach kam der logische Gedanke, dass wir gleich mit einem Theaterprojekt hingehen könnten und danach fügte sich irgendwie alles ziemlich gut, sodass wir durch Asli mit Emre in Kontakt kamen und das Projekt letztendlich realisieren konnten.

Biber: Wie war der Aufenthalt in Istanbul für dich Daniel?

Daniel: Ich fand’s super.  Es war vor allem sehr gut, dass wir gleich nach der Ankunft auch mit den Proben losgelegt haben. So hatte ich direkt Kontakt zu den lokalen Leuten und hatte nicht das Gefühl, ein Klischeetourist sein zu müssen. Das macht einen großen Unterschied, wie man die Stadt wahrnimmt.

Asli: Als ich nach paar Wochen wieder in Istanbul war, kannte man Daniel bereits in der ganzen Straße. Er hatte bereits einen super Schmäh mit den Kaufleuten und auch mit den Taxifahrern. Er konnte auch super fette türkische Sätze wie „Köşede at bizi abi!“ (D.: Schmeiß uns an der Ecke raus Bruder!) zu Taxifahrern sagen. War wirklich köstlich anzusehen!

Alev: Ich hab’s am Anfang echt geliebt. Die ersten 2 Monate verliefen super. Ich hatte wie  Ercan im Stück  diesen glückserfüllten „ENDLICH“-Moment. Vor allem die Tatsache, dass es so selbstverständlich und so einfach war, mit Menschen auf der Straße ins Gerede zu kommen. Es gab zig intime Momente. Keine Distanz. Aber dann kam der Winter und ich musste auch ständig zurück nach Wien, weil ich Aufträge hatte. Das war dann nicht mehr lustig.

Daniel: Ich fand den Winter super. Es war wohl der ärgste Winter ever. Die ganze Stadt war lahmgelegt. Totaler Ausnahmezustand und Schneeüberforderung. War wirklich faszinierend, eine Megametropole derart überfordert zu sehen.

Biber: Was nehmt ihr aus der Zeit mit?

Alev: Ich habe dort erstmals gemerkt, wie ausgeprägt meine österreichische Seite doch ist. Ich fand es teilweise super anstrengend, dass das alltägliche Geschäftstreiben sehr viel auf persönlicher Ebene passiert. Jeder will irgendwie zu Geld kommen und man manipuliert sich dabei aber sehr auch auf persönlicher Ebene. Das war mir dann bald zu anstrengend. Ich bin es gewohnt, dass man klipp und klar ausspricht, was man möchte und gut ist! Das war in Istanbul teilweise nicht möglich. Auch das Misstrauen der Menschen. Du hast ständig das Gefühl, dass du verarscht wirst und musst dich dementsprechend „schützen“. Das war megaanstrengend.

 

Daniel: Istanbul ist ein hartes Pflaster. Millionen Menschen hetzen von A nach B – tagein, tagaus. Ich sag auch im Stück in einer Szene: "Willkommen im Land des Nicht-Vertrauens – Hoş geldiniz!". So ist es auch tatsächlich. Diese Geschwindigkeit ist auf Dauer wirklich sehr anstrengend, vor allem, für den gemütlichen  „Schau ma mal“-Wiener, der in seiner Luxusblase lebt.

Biber: Wie ist das Stück in Istanbul angekommen?

Asli Kislal: Wir hatten wirklich unterschiedlichste Menschen im Publikum sitzen. Es gab viele ausgewanderte Deutsche und Österreicher, die darin ein Stück Heimat gefunden haben, weil das Stück eben auf Deutsch ist. Dann gab es viele „Deutschländer“, die überglücklich waren, dass man endlich mal ihre Geschichte erzählt.  Die „Bio-Istanbuler“ wurden das erste Mal angeregt über Almancıs nachzudenken. Es sind wirklich viele, die Jahr für Jahr nach Istanbul auswandern. Istanbuler nehmen dieses Potential gar nicht  so wahr, habe ich das Gefühl. Sie hatten die Möglichkeit die Menschen, die bei ihnen leben, kennenzulernen.

Das Stück feiert am 27. Oktober 2015 im Werk X – Eldorado seine Premiere in Wien. Weitere Termine folgen am  30.10., 31.10., 2.11., 4.11., und 6.11. um 20 Uhr im WERK X-Eldorado, Petersplatz 1, 1010 Wien.

Mit Alev Irmak, Daniel Keberle, Tim Breyvogel

Autor: Emre Akal // Inszenierung: Asli Kislal

 

Doyclender
Foto: Doyclender by daskunst, diverCITYLAB, dasWerk

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