Guter Wolf, böser Wolf?

04. November 2020

Der angeschossene Polizist hat ihnen das Leben zu verdanken. Die ältere Dame genauso. Mikael Ö. und Recep G. haben zwei Menschenleben gerettet. Der Terroranschlag in der Wiener Innenstadt, der uns für alle Ewigkeit verfolgen wird, hat seinen Bösewicht. Er war 20, Eltern aus Mazedonien, in Wien geboren, bekennender IS-Sympathisant. So weit, so schrecklich. 

Die Terrorattacke am 2.11. hat aber auch seine Helden. Das Netz und die Politik (Anm.: Bürgermeister Ludwig empfing die beiden im Rathaus, der türkische Präsident Erdogan gratulierte ihnen telefonisch) feiern zurecht die zwei jungen türkischstämmigen Wiener und MMA-Kämpfer für ihre Zivilcourage, die zwei Menschenleben gerettet hat. Seien wir uns ehrlich: Hättest du genauso gehandelt? In Zeiten, in denen Schaulustige auf Tatorten regelmäßig die Einsatzkräfte behindern und viele UserInnen sich nur über „Likes“ definieren, eine Wohltat mit Heldencharakter. Es gibt aber einen Haken.

Laut unseren Recherchen auf Social Media scheinen die beiden ein Näheverhältnis zu den Grauen Wölfen zu pflegen. Oder besser gesagt, pflegten. Auf Instagram-Fotos, die am Tag nach dem Anschlag abrufbar waren, sieht man den Wolfsgruß (Daumen, Mittelfinger, Ringfinger sollen den Kopf, der Zeige- und kleine Finger die Ohren symbolisieren), der in Österreich seit 1.3.2019 gesetzlich verboten ist. Weil wir die handlungsschnellen Männer in einem Beitrag zuvor als Helden bezeichnen, kassieren wir harsche Kritik. biber sei „Pro-Graue-Wölfe“ und biete „Faschisten eine Plattform“, so der Grundtenor der meisten Kommentare. Andere wiederum sehen zwischen der Rettungstat und der Gesinnung der Retter keinen Zusammenhang. „Der ideologische Background ist doch in dieser Sache völlig uninteressant.“, so ein User. 

Graue Wölfe, graue Haare

Wer mit der türkischen Community vertraut ist, weiß, dass dieses Symbol mal schnell von 12-Jährigen Rotzbuben gezeigt wird. Wer von der Geschichte der Grauen Wölfe weiß, kriegt aber genauso schnell graue Haare. Eine faschistische Ideologie, die das Großtürkentum propagiert. Der türkische Präsident hat sich nie eindeutig von den Grauen Wölfen distanziert. Eine Tatsache, die ihm viele WählerInnen (auch in Wien) beschert hat. Aus diesem Grund sehen wir uns als Community-Magazin verpflichtet, die Augen davor nicht zu verschließen, ohne dabei die heldenhafte Tat in irgendeiner Weise zu relativieren. 

Muhammed Yüksak, ein Bezirkspolitiker aus Favoriten, der mir bis jetzt als Sprachrohr gegen Diskriminierung und Faschismus aufgefallen ist, beschwichtigt: „Diese Anfrage kam schon von mehreren Seiten. Die Verwechslungsgefahr ist da, deswegen die Klarstellung: Die beiden Jungs sind MMA-Kämpfer und gehören dem Team Wolf an, genauso wie es Team Adler gibt. Sie sind keine grauen Wölfe.“ (Mikail Özen konnten wir telefonisch nicht erreichen - kein Wunder, bei all dem Medienrummel um seine Person)

In der Zwischenzeit sind die Wolfgruß-Fotos vom persönlichen Instagram-Account von Mikail verschwunden. Ebenfalls postete Recep Gültekin, der zweite Retter, ein Foto mit dem Text: „Auch ich war mal jung und dumm und sehe die Welt seit Jahren anders.“ Wahrscheinlich haben die beiden Wiener aufgrund der plötzlichen Öffentlichkeit eingesehen, dass das Zeigen des Wolfssymbols keine Lappalie ist. Ihre KritikerInnen werden sich gleichzeitig eingestehen müssen, dass die „falsche“ Ideologie in den Sekunden des Einsatzes, keinerlei Bedeutung hat. Der geretteten Frau und dem Polizisten ist die Gesinnung ihrer Retter wurscht. Sie leben. Das ist, was zählt. 

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