HYPERREALITY - Clubkultur der Welt bei uns in Wien
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Beim Hyperreality, Festival for Club Culture by Wiener Festwochen spielen zum zweiten Mal Musiker*innen aus verschiedenen globalen Clubszenen, von Reaggeton über Bounce Musik bis Techno. Als Kuratorin des Festivals spannt Marlene Engel einen Bogen unter den vielversprechendsten Talenten einer globalen Szene, die in den letzten Jahren Ausgangspunkt für die wichtigsten künstlerischen Arbeiten und Entwicklungen war. Marlene über die Einzigartigkeit des Festivals, ihre Highlights und Subkultur vs. Hochkultur.
biber: Was macht Hyperreality für dich einzigartig?
Marlene Engel: Meiner Meinung nach ist die Art, wie wir versuchen, alle Komponenten der Clubkultur, politisch sowie künstlerisch zum Programm zu machen, ein Kernstück. So gibt es im Sinne eines temporären, egalitären, Utopie-Raums 50% weibliche Security, Fahrer*innen und Frauen bzw. non-binary Menschen im Programm.
Der Bezug zur lokalen Szene ist ebenso wichtig. Ein von Dancehall inspiriertes Programm kommt nicht ohne Gürtellegende 3GGA aus, der dort seit Jahren Events dieser Art promotet. Auf diesem Floor werden auch die Dancehall-Tanzprofis rund um Janet Phoenix auftreten. Bei unserem von New Yorker MikeQ gehosteten Qween Beat Floor am 25. Mai arbeiten wir auch eng mit der Wiener Voguing-Szene zusammen, die mit einigen Tänzer*innen vertreten sind und wiederum Einladung an Tänzer*innen aus Bratislava, Berlin usw. ausgesprochen hat. Dieser Community-Aspekt, durch den Verbindungen zwischen Besucher*innen, Artists und im besten Fall quer durch das Festival geschlossen werden, ist uns ein großes Anliegen und macht Hyperreality unserer Meinung nach ziemlich einzigartig.
Nach welchen Kriterien werden die Künstler*innen ausgewählt?
Die Kriterien sind schwer zu fassen. Jedenfalls erfüllen alle Künstler*innen im Programm ein gewisses Maß an Innovation in ihrer künstlerischen Arbeit. Sei es in Form von Lyrics wie Flohio, in ihrer Art Inhalte zu komponieren und zusammenzusetzen wie Fauna oder in Form von Performance wie Arca.
Beim Hyperreality geht es um das Hier und Jetzt, um den direkten Ausdruck unserer Zeit, ihrer feierlichen Seiten und komplexen Probleme. Es geht um eine Szene, die „post-internet“ durch den freieren Zugang zu (digitalen) Instrumenten in den letzten 40 Jahren nicht nur explodiert ist, sondern viele Multitalente abseits neo-kolonialistischer Voraussetzungen hervorgebracht hat. Laptop-Komponist*innen wie Meuko! Meuko! oder Jung An Tagen, ausgebildete Instrumentalist*innen, wie Shiva Feshareki oder Kit Downes oder auch Leute mit hart erlernten Skills, wie die Dancehall- und Voguing- Tänzerinnen, die heuer beim Festival dabei sein werden.
Kommst du auch zum Genießen oder bist du erst entspannt, wenn alles vorbei ist?
(lacht) Ja, also letztes Jahr war ich eher im Dauereinsatz. Man kennt sich in der Szene, ob in Wien oder darüber hinaus - und da bin ich neben Interviews und Presseeinsatz einfach auch ein wenig Host für alle. Das macht mir aber auch Spaß und gehört zum Job. Ein super Team hilft außerdem mit!
Was ist dieses Jahr anders?
Wir haben das Programm um einen Tag gekürzt und versucht, es etwas zu verdichten aber setzten auch heuer auf eine kontrastreiche Programmierung aus verschiedenen Sparten globaler Clubkultur.
Warum habt ihr die Location vom Schloss Neugebäude zum F23 gewechselt?
Die Musikszene befindet sich in einem ständigen Wandel. Ich finde es wichtig, da als Festival mitzugehen und das Konzept Jahr für Jahr weiterzuentwickeln. Neue Inhalte brauchen dann auch oft neue Räume! Besonders für so umfangreiche Auftragsarbeiten wie die von REAL GEIZT (aka Battle-Rap Legende Taktlo$$), der eine eigene Inszenierung bei Hyperreality hinlegt. Auch für Kelela, Arca oder Fauna braucht es eine große Bühne, diese kann uns das F23 mit dem Zusammenbau bieten. Und in den Kellerräumen des F23 haben wir im sogenannten Materialmagazin auf zwei Floors sehr wandlungsfähige Räume mit Industriecharme für das Programm ab 23 Uhr gefunden.
Wer sind deine Highlights?
Ich freue mich besonders auf die tawainesische Musiker*in Meuko! Meuko!, die extra für Hyperreality, Festival for Club Culture by Wiener Festwochen, eine AV Show mit NARX Corp entwickelt hat. Außerdem auf die Album-Premieren von Aïsha Devi, Farce und Fauna! Auf die Rapper*innen Ebow und Flohio freu ich mich auch - beide haben sehr mitreißende Live-Shows.
Du bezeichnest Club als einen Ort “an dem gesellschaftliche Zwänge und Mechanismen außer Kraft gesetzt werden” - Kannst du das bisschen ausführen?
Musik vermag es, auf unsere Gemeinsamkeiten zu verweisen, ohne uns gleich zu machen. An dieser Stelle aber auch noch ein anderer Gedanke, der mich momentan beschäftigt: Die faktischen Unterschiede zwischen Subkultur und Hochkultur. Wir sprechen beim Hyperreality oft davon, dass wir Musik und Kunst präsentieren, die aus Subkulturen entstanden ist, was auch seine Richtigkeit hat. Aber wieso? Wo liegt die Unterscheidung zwischen Hoch- und Subkultur eigentlich noch? Heißt Hochkultur automatisch, dass etwas teuer oder besonders aufwändig sein muss? Oder komplex? Denn Talent und Übung brauchen die Musiker*innen in unserem Programm genauso viel, wenn nicht sogar mehr, weil ihnen oft weniger Mittel zur Verfügung stehen. Ist der Unterschied dann formal? Ist Hyperreality nicht Hochkultur, weil wir uns nicht hinter 5 Meter dicken Wänden am Wiener Ring verstecken?
Ich denke, diese Unterscheidung zu machen, ist generell binär und eine Art kapitalistischer Reproduktion die im Kunst- und Kultur Bereich nichts verloren haben sollte. Alles Gedanken, die in Wahrheit schon Bourdieu hatte. Ich glaube, wenn man irgendein Urteil fällen möchte, dann nur Kunstwerk für Kunstwerk oder Aufführung für Aufführung. Der Inhalt ist der Faktor, den es zu beurteilen gilt, nicht das formale Setting, egal wie verführerisch eine Loge sein mag (lacht) Mal sehen was dann Subkultur und Hochkultur ist, wenn der Inhalt sie neu definiert oder noch besser, wenn ich dieses Schubladendenken zugunsten der Inhalte ablege.
Was zeichnet die Wiener Clubkultur für dich aus?
Susanne Kirchmayr.
Dieses Interview ist im Rahmen einer entgeltlichen Kulturkooperation zwischen den Wiener Festwochen und biber entstanden. Die redaktionelle Verantwortung liegt allein bei biber.
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