Ich bin Trauzeugin einer Frau, die ich drei Mal gesehen habe

23. Juni 2017

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NGDPhotoworks, Pixabay
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Ja ja, ich weiß. Wieder ein Artikel über stereotypisierende Muster, der so wichtig ist, wie ein umfallender Reissack in China. Trotzdem juckt‘s mich in den Fingern, da ich meinen Unmut nicht mehr länger verbergen möchte. Wer bereit ist, kurz seine Lauscher aufzusperren, dem sei an dieser Stelle herzlich Dank gesagt.   

Ich bin echt fuchsig, da ich vor Kurzem beiläufig erfahren habe, dass ich diesen August Trauzeugin einer Frau sein werde, von der ich höchstens weiß, wie sie heißt und wie alt sie ist. Wovon ich bis dato Kenntnis habe, ist, dass das Hochzeitsdatum seit letztem Sommer feststeht und dass mein Freund, der schon in der Sandkiste gemeinsam mit dem Bräutigam die Schaufel geteilt hat, fix der Trauzeuge sein wird. Das war’s aber auch schon.

„Nein, das ist doch klar“

Vielleicht bin ich auch nur begriffsstutzig. Ist es aber nicht so, dass die Trauzeugin genau diejenige ist, die die Braut so gut wie niemand anders kennt, oder hab ich da was falsch verstanden? Natürlich gibt’s da die ein oder anderen, die eben keine beste Freundin haben, doch selbst die wählen nicht jemanden aus, den sie höchstens drei Mal in ihrem Leben gesehen und davon einmal kurz Smalltalk geführt haben. „Nein, das ist doch klar, dass du die Kuma (übers. Trauzeugin) sein wirst, wenn du mit dem Kum (übers. Trauzeugen) zusammen bist. So ist das zumindest bei uns“, sagt mir die Mama meines Freundes. Aha, mit „bei uns“ meint sie den Kanton Posavina in Bosnien. Die meisten meiner Verwandten leben in der Region Slawonien in Kroatien und wenn ich da bei einer Hochzeit war, kannten sich die Trauzeugin und die Braut ziemlich gut. Was mich verärgert, ist nicht die Tatsache, dass sie sich letztlich für mich entschieden hat. Natürlich zeigt sie mit dieser Handlung nicht nur Stärke, sondern auch eine hohe Bereitschaft, mir – einer Unbekannten – eine so arg wichtige Funktion anzuvertrauen. Damit gebührt mir auch eine besondere Ehre. Das Einzige, was ich an der gesamten Geschichte nicht verstehe, ist, dass es anscheinend zu viel verlangt ist, gefragt zu werden. Und dann kommt’s eben zu so einer blöden Situation, wie ich sie mit meiner zukünftigen Schwiegermama hatte, indem ich knallrot anlief und es mir die Sprache verschlug.

„Das ist doch keine richtige Hochzeit mit nur 300 Leuten“

Das letzte Wochenende waren wir bei Freunden zu Besuch. Natürlich war das Gesprächsthema Numero Uno die bevorstehende große Hochzeitsfeier. Auch nicht verwunderlich, dass ich in der Runde gefragt wurde, ob ich schon das Kleid, den Friseur, Visagisten, die zum Kleid passenden Schuhe und das Handtäschen hab, da ich ja die Kuma bin, die „engste Vertraute“ der Braut. Weil ich mich aber noch immer in einer gewissen Schockstarre befinde, obwohl das Datum immer mehr in die Nähe rückt, versuche ich, die Besorgungen etwas in die Länge zu ziehen. „Das ist doch keine Hochzeit mit nur 300 Leuten. Voll der Kindergeburtstag“, sagt einer der Anwesenden, als er von der „niedrigen“ Gästeanzahl erfährt. Das erklärt sich dahingehend, dass noch immer ziemlich viele Hochzeiten, die in dieser Gegend gemacht werden, eine wirklich überdimensional hohe Anzahl an Personen aufweist. Das kann ich nur bestätigen, da ich meinen Freund in der Vergangenheit zu einigen solchen Feiern begleitet habe, der auch von dort ist. Vor  einem Jahr waren wir zum Beispiel bei einer Eheschließung in Bosnien mit mehr als 1000 Gästen, die in dem übergroßen Saal nicht einmal alle Platz hatten und sogar schon außerhalb der Tür standen.

Also wenn das nicht eine gewisse Skurrilität aufweist, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Mit der Gästeanzahl von „nur“ 300 Personen zeigt das Brautpaar, dass es auch anders gehen kann. Für saugute Verpflegung soll auch gesorgt sein, da das Catering vom besten Lokal der Umgebung übernommen wird, was ich von den anderen Feierlichkeiten leider nicht behaupten kann. Da hatte man – und das gebe ich jetzt wirklich nur ungern zu – den Eindruck, bei einer Massenabfertigungs-Hochzeit gelandet zu sein. Den typischen Festschmaus bilden da: Hochzeitssuppe – natürlich mit viel Vegeta (Hauptgewürzzutat bei Jugos), die aber trotzdem nach nichts schmeckt –, Cobanac (übers. scharfer Eintopf mit massenhaft Zwiebeln und ein Haufen Fleisch) und geschlachtetes Schwein mit Kupus (übers. Krautsalat). Brot darf selbstverständlich nicht bei uns Balkanesen fehlen. Ach ja, bevor das Festessen eröffnet wird, befindet sich an jedem Tisch eine Meze-Platte auf einem Plastikteller, was eine gewisse Ähnlichkeit mit den italienischen Antipasti aufweist, nur eben auf Balkan-Art. Meze ist ein Muss bei jeder Feier, egal ob nun Geburtstag, Taufe, Firmung, Hochzeit oder ein stinknormaler Besuch bei jemandem zu Hause. Die Kolacici (übers. Kekse) werden den Gästen ebenfalls auf einem Plastikteller serviert. Die bekanntesten alkoholischen Getränke – die es wahrscheinlich auch bei der bevorstehenden Hochzeitsfeier geben wird – sind Rakija (übers. Schnaps), Rotwein gestreckt mit Cola oder Cockta, der typische Weißweinspritzer und last but not least das beliebteste alkoholische Getränk unter uns Jugos, Pivo.

 

Vom Alkohol werden nicht nur das Brautpaar, sondern auch wir Trauzeugen reichlich viel an diesem Tag benötigen, da es ziemlich laut zugehen wird. Wir haben nämlich die Ehre, neben den 20 gewaltigen Lautsprechern zu sitzen, die dafür verantwortlich sind, die Kolo-Musik vom Feinsten (übers. traditionelle Jugo-Volkstanz-Musik) bis in die letzte Ecke des Saals ausbreiten zu lassen. Eine normale Gesprächsführung ist an diesem Abend unmöglich, außer du schreist dir die Seele aus dem Leib. Schließlich soll fleißig geshaked und mitgefeiert werden.  Zusätzlich zur Op-op-Kolomusik gibt’s dann hin und wieder auch ju-ju-ju-schreiende Hochzeitsgäste, die mitverantwortlich sind, dass du am nächsten Tag auf beiden Ohren taub bist. Das einzige Problem: Dem Folklore-Tanz bin ich – zum Entsetzen meiner gesamten Bekanntschaft – nicht mächtig. Na lustig wird’s. Auf jeden Fall werde ich mein Bestes geben, bin ja schließlich am „schönsten Tag“ im Leben der Braut das Mädchen für alles. Und wer weiß, vielleicht werden wir ja eines Tages BFF's.

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