Können nur Schwarze Werke von Schwarzen übersetzen?

09. März 2021

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Marieke Lucas Rijneveld
Marieke Lucas Rijneveld zog sich aus der Übersetzung von Amanda Gormans Gedicht "The Hill We Climb" zurück. (C)JEROEN JUMELET / AFP / picturedesk.com

Die preisgekrönte Autorin Marieke Lucas Rijneveld wurde damit beauftragt, Amanda Gormans Gedicht „The Hill We Climb“ zu übersetzen. Doch letzten Endes erschien sie vielen nicht qualifiziert – wegen ihrer Hautfarbe.

Als die US-amerikanische Dichterin Amanda Gorman bei der Amtseinführung von Präsident Joe Biden „The Hill We Climb“ vortrug, wurde sie über Nacht weltberühmt. Die 22-Jährige war die jüngste Person überhaupt, die je bei einer präsidentalen Amsteinführung sprechen durfte. Marieke Lucas Rijneveld, die ursprünglich von Gormans niederländischen Verlag mit der Übersetzung des Gedichts beauftragt wurde, hat eine ähnliche vielversprechende Nachwuchsrolle innerhalb des Literaturbetriebs. Mit nur 29 Jahren war Rijneveld die jüngste Person, die 2020 mit dem renommierten International Booker Prize ausgezeichnet wurde. Rijneveld bezeichnet sich als non-binary und wäre laut dem Verlag Meulenhoff die „Traumübersetzerin“ für Gormans Gedicht gewesen – diesen Auftrag ließ sie aber nach Kritik, allem voran von Seiten der schwarzen Journalistin und Aktivistin Janice Deus, fallen. Diese begründete ihre Beanstandung damit, dass eine schwarze Spoken-Word-Künstlerin eine wesentlich bessere Wahl für die Übersetzung gewesen wäre, ungeachtet der sicherlich vorhandenen Kompetenzen Rijnevelds.

Ähnliche Vorfälle sind mir auch aus dem Journalismus bekannt. So kann es vorkommen, dass es auf Instagram oder Twitter Kritik hagelt, wenn sich beispielsweise eine weiße Journalistin dem Thema mentale Gesundheit bei Migranten annimmt – auch wenn sie mit Betroffenen spricht. Sollte ich im Umkehrschluss dann nicht über eine Community berichten können, der ich nicht zugeschrieben werde – in diesem Falle eine nicht-arabische?

Der Debatte um den „richtigen“ Übersetzer des Gorman-Gedichts liegt nun eine entscheidende Frage zugrunde: Können nur Schwarze Werke von Schwarzen übersetzen? Wenn man der Argumentation der Kritiker folgt, dann offensichtlich ja. Und so schaffen es diejenigen, die sonst stets am lautesten gegen Rassismus eintreten, sich eben über rassistische Motive zu rechtfertigen. Einzig und allein die Tatsache, dass Marieke Lucas Rijneveld nicht schwarz ist, hat dazu gereicht sie als Übersetzerin zu diskreditieren.

Solche Debatten zeigen, wo der Pferdefuß der Identitätspolitik ist. Vor über 50 Jahren sagte Martin Luther King Jr.: „I look to a day when people will not be judged by the color of their skin, but by the content of their character.” Wenn man dieses berühmte Zitat auf die aktuelle Situation überträgt, hat eigentlich keiner gewonnen. Weder Marieke Lucas Rijneveld, noch Amanda Gorman, die aufgrund dieser Narrative in erster Linie als auf ewig als Schwarze wahrgenommen wird. Kann denn so Rassismus jemals wirklich überwunden werden? Wahrscheinlich nicht.

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