„Man bekämpft die extreme Rechte nicht, indem man zur extremen Rechten wird.“

06. März 2017

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Gauri van Gulik - Amnesty International Interview
© Amnesty International

Burkaverbot, Wahlwerbung von Erdoğan und Flüchtlinge - Wie steht Amnesty International Europa dazu? Wir haben mit der stellvertretenden Direktorin Gauri van Gulik in einem Interview darüber gesprochen.

 

Sollte Tayyip Erdoğan, der türkische Präsident, hier in Österreich Wahlwerbung für das anstehende Verfassungsreferendum in der Türkei betreiben dürfen?

Wenn er seine Meinung in Österreich kundtun will, dann soll er das auch dürfen. Man sollte ihm nicht mit Maßnahmen entgegentreten, die er selbst ergreifen würde. Die Medien sollen frei berichten dürfen und eine freie Diskussion in der Öffentlichkeit muss gewährleistet werden. Nichts sollte in diesen Belangen beschränkt werden, außer die Grenze zur Hassrede wird überschritten oder es liegt eine Anstiftung zur Gewalt vor. Ein riesiges Problem ist jedoch, dass wir in der Türkei auf ein Verfassungsreferendum ohne freie Presse zusteuern und über 155 JournalistInnen festgehalten werden. Das hat einen riesigen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit einer Demokratie.

 

Unlängst wurde auch das Verbot von Burkas im öffentlichen Raum diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Meine Meinung und die von Amnesty International sind, dass niemand und sicherlich nicht Regierungen entscheiden sollten, was Frauen anziehen dürfen. Das ist kontraproduktiv und verträgt sich nicht mit dem Recht zur freien Meinungsäußerung. Für diejenigen Burkaträgerinnen, die tatsächlich dazu gezwungen werden, sie zu tragen, wird es dazu führen, dass sie zuhause bleiben müssen. Die anderen, die sie aus freien Stücken tragen, haben das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Religionsausübung. Ein Verbot der Burka würde diese Rechte angreifen. Beide Szenarien sind nicht gut und ich bezweifle stark, dass die Burka in Österreich ein echtes Problem darstellt. Das ist also eher ein politisches Statement, als eine Maßnahme mit guter Auswirkung auf die Gesellschaft.

 

Denken Sie nicht, dass die Burka eine gelungene Integration verhindert?

Das Problem ist, dass Integration weit mehr ist als Kleidung. Leute zusammenbringen: Das ist Integration. Eine Form der Kleidung zu verbieten und andere Formen zu erlauben, wird die Integration nicht fördern. Wir müssen an die Thematik herangehen, ohne gewisse Schichten in die Kriminalität zu drängen. Wir müssen es über andere Wege, wie Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt und die Stärkung von Grundrechten schaffen.

 

Amnesty International Österreich startete kürzlich die Kampagne #restartyourheart. Warum heißt sie so und was versuchen Sie damit zu erreichen?

Amnesty International Österreich startete diese #restartyourheart-Kampagne, weil wir bemerkten, dass wir etwas verloren haben, was wir schon einmal in 2015 hatten: Die Entrüstung über die vielen Toten im Meer, über die vielen Leidenden in Europa. Was wir bemerkten, ist eine Ermüdungserscheinung. Die Leute sind nicht mehr schockiert. Es hat sich eine gewisse Normalität gegenüber diesem Leid eingestellt. Es ist jedoch immer noch der Fall, dass es Millionen Flüchtlinge weltweit gibt und wir müssen uns dieser Situation annehmen. Und das bedeutet, dass wir mit konkreten von uns ausgearbeiteten Lösungen starten müssen.

 

Was kann abseits von Spenden getan werden, um Amnesty International zu unterstützen?

Da gibt es viele Dinge. Zuallererst ist es sehr wichtig, eine Welle der Begeisterung und Energie für diese Kampagne zu erzeugen. Jeder, der online ist, muss die Nachricht verbreiten. Wichtiger ist noch, dass jeder, der sich um diese Angelegenheit sorgt, selbst aktiv wird. Schreiben Sie an Ihre Zeitung und an Ihre Minister. Wir müssen lauter sein, als die Stimme der extremen Rechten, welche die Regierung zu wirklich negativen Entscheidungen zwingt.

 

Der Brexit findet früher oder später statt. Rechte Parteien gewinnen über ganz Europa an Zustimmung und die EU-Länder streiten noch immer über die Aufteilung der Flüchtlinge. Es gab schon mal bessere Zeiten für die EU. Was bedeutet das für Flüchtlinge?

Dieses Jahr wird ein echter Test für die EU werden. Mehrere wichtige Wahlen finden über die EU verteilt statt. Nach diesem Jahr müssen wir schauen: Wo stehen wir? Es könnte entweder in eine mehr rechtsextreme Richtung gehen oder es könnte tatsächlich in die andere Richtung gehen, die sagt, wir wollen nicht wie Trump sein, wir wollen nicht diese Art von populistischem, autoritärem Stil und damit eine Gegenbewegung zu den derzeitigen Vorgängen starten. Also das eine oder das andere und ich denke, es ist klar, wo Amnesty International steht. Wir hoffen so oder so auf alle Fälle einen Raum für Flüchtlinge zu schaffen, die Hilfe benötigen, selbst wenn die Entwicklungen zurzeit dunkel sind.

 

Laut einer Umfrage von Amnesty International Österreich stimmten im letzen November 97 % der ÖsterreicherInnen der Aussage zu, dass jeder Mensch ein Anrecht auf Menschenrechte hat. Warum schauen dennoch so viele Menschen weg oder stellen sich gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen?

Erstaunlich ist einerseits, wie positiv die Stimmung gegenüber Flüchtlingen, Migranten sowie Menschenrechten ganz allgemein ist. Es ist nicht wahr, was die meisten PolitikerInnen behaupten - nicht alle wollen die Flüchtlinge aus Österreich hinaus haben. Die andere interessante Sache ist, dass natürlich ein Unterschied hinlänglich dessen besteht, was man in einer Umfrage sagt und was dann im echten Leben getan wird. Wir haben Hassverbrechen gesehen, begangen von einer sehr lauten Minderheit, die den PolitikerInnen Angst bereitet. Sie haben Angst vor der extremen Rechten und werden de facto von ihnen als Geiseln genommen. In unserer Ansicht bekämpft man die extreme Rechte allerdings nicht, indem man zur extremen Rechten wird. Man bekämpft sie, indem man Alternativen aufzeigt. Gerade jetzt sind die PolitikerInnen jedoch paralysiert. Und das ist niemals ein guter Ausgangspunkt für gute Politik.

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