Vollzeitjob und 14 Vorlesungen: Studentenalltag in Rumänien

26. September 2016

Ich fand immer die Kombination Vollzeitjob + Uni unvereinbar. Vom ersten Tag an war ich sehr begeistert von meinem Studium und ich bin es auch heute immer noch, auch wenn zugegebenermaßen einige Vorlesungen nicht das Gelbe vom Ei waren. Ich bin immer gerne auf die Uni gegangen und meine Nebenjobs oder Volontariate habe ich nie in den Vordergrund rücken lassen.


Uni um jeden Preis

In meiner Heimat, Rumänien, wollen viele leider nur studieren, um sich gemeine Kommentare seitens der Familie / Bekannten / Nachbarn zu ersparen. In den Generationen unserer Eltern und Großeltern kannten nur Wenige das Studentenleben, meistens weil es sich viele nicht leisten konnten zu studieren. Deswegen legen sie jetzt viel Wert darauf, dass ihre Nachkommen um jeden Preis auf die Uni gehen.

Vollzeitjob und 14 Vorlesungen

Sehr viele stehen aber unter dem Zwang, zeitgleich Geld zu verdienen. Auf geringfügiger Basis arbeitet bei uns kaum jemand, denn es gibt solche Stellen einfach nicht (außer Nachhilfe). Eine Teilzeitstelle heißt neben den täglichen vier Stunden in der Arbeit weitere zwei Stunden am Pendeln. Für die 12-14 Lehrveranstaltungen, die der Studienplan pro Semester vorschreibt, bleibt nicht viel Zeit übrig. Apropos Studienplan: In Rumänien darf man nicht seine LVAs selber einteilen und die Länge seines Studiums selbst bestimmen. Alle bekommen jedes Semester das gleiche Studienpensum und verpflichten sich damit, das Studium in der Mindeststudienzeit abzuschließen.

Viele entscheiden sich gleich nach dem Besuch der ersten Vorlesungen, ihre Zeit einem Vollzeitjob zu widmen. Die Gründe sind unterschiedlich: Entweder ist ihnen das Studium zu fad und aufwendig, weil es nicht ihre Wahl war, oder sie wollen so schnell wie möglich Kohle machen. Wie dem auch sei, ein ernstgenommenes Studium ist eine Vollzeitarbeit an sich und lässt sich nur mit geringfügigen Tätigkeiten im selben Bereich perfekt unter einen Hut bringen.

 
 

Der schlechteste Student bestimmt das Niveau

Studieren müssen sowieso nicht alle, aber genau das ist es, was das rumänische Schulsystem falsch gemacht hat. Sogar für den einfachsten Job braucht man einen Uni-Abschluss, lächerlicherweise egal in welchem Bereich. Niemand will mehr Berufe lernen, denn alle sind eh schlecht bezahlt und machen die Eltern und Großeltern nicht stolz, auch wenn die Person eigentlich sehr gut darin wäre. Und darunter haben nur diejenigen zu leiden, die ihr Studium ernst nehmen wollen. Ein Professor von mir hat einmal gesagt: „Das Leistungsniveau einer Gruppe wird von dem schlechtesten Studenten bestimmt.“ So eine Aussage mag nicht auf andere Schulsysteme zutreffen, auf unseres aber schon. Also setzt die Latte der Student, der 40 Stunden in der Woche in der Arbeit ist und nur zu Prüfungen kommt, in der Hoffnung, sie zu bestehen. Ziemlich ungerecht, aber so sieht die Realität aus.

Das andere Problem ist, dass man es auch unter diesen Umständen schafft, das Studium in der Mindeststudienzeit abzuschließen. Professoren geben großzügig gute Noten, damit das Prestige der Universität stehenbleibt und ihr Ruf als ausgezeichnete Dozenten nicht beschädigt wird. Es gibt sogar Professoren, die sich extra Zeit und Mühe während des Unterrichts nehmen, den Stoff jenen Studenten zu erklären, die erst jetzt am Ende des Semesters die LVA besuchen. Die anderen können in dieser Zeit nur gähnen und ihre Smartphones benützen. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber solche Episoden kommen leider sehr oft vor.

Der Grund, warum ich Rumänien verlassen habe

In Rumänien haben sich neuerdings sehr viele Korporationen niedergelassen. Die Gehälter auf dem rumänischen Arbeitsmarkt sind sehr niedrig im Vergleich zu Frankreich, Deutschland oder den USA. Solche Firmen suchen nämlich nach belastbaren frischgebackenen Absolventen, die für ein überdurchschnittliches Gehalt eine automatisierte und standardisierte Arbeit leisten können. Viele von meinen Bekannten, die Fremdsprachen, Soziologie, Psychologie oder HR studiert haben, sind jetzt bei solchen Firmen tätig in Bereichen wie Tech, Corporate Management, Marketing usw., also alles, was ein großer Konzern braucht. Beim Bewerbungsgespräch interessiert den Personalmanager nicht, was der Bewerber studiert hat. Er oder sie wird sowieso im Haus eingeschult und auf seine automatisierte und standardisierte Tätigkeit vorbereitet.

Für viele mag so eine entpersönlichte Arbeit etwas Gemütliches und Sicheres sein. Für mich war das eigentlich der Grund, warum ich Rumänien verlassen habe. Ich freue mich irrsinnig, wenn mir Freunde sagen, sie haben einen interessanten Job in ihrem Bereich. Das sind meist diejenigen, die ihr Studium ernst genommen haben. 

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