Wagner-Aufstand in Russland: Die Geister, die Putin rief.

26. Juni 2023

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Wagner-Truppen ziehen aus der Grenzstadt Rostow-am-Don ab. ©ROMAN ROMOKHOV / AFP / picturedesk.com

Ein Flugticket raus aus Moskau kostete am Wochenende 2.000 €, heute wieder 200€.  Was ist in den letzten Tagen in Russland passiert? Ein Streit zwischen zwei mächtigen Freunden mündete beinahe in einen Bürgerkrieg: Der von Evgenij Prigozhin organisierte „Wagner-Aufstand“ hinterlässt viele Fragezeichen – in Russland und der Welt. 

Am Wochenende vom 23. Juni blickte die Welt gebannt nach Russland, wo durch den Aufstand der Söldner-Privatarmee Wagner unter der Führung von „Putins Koch“ Evgenij Prigozhin rasch von einem drohenden Bürgerkrieg, ja, wenn nicht sogar einem Putschversuch die Rede war. Doch genauso schnell, wie Prigozhins Truppen die Grenzstadt Rostow-am-Don einnahmen und sich auf dem Weg nach Moskau befanden, war die Aufregung schon wieder vorbei. Die Wagner-Truppen befanden sich wenige hundert Kilometer vor der russischen Hauptstadt, als ihr Abzug angeordnet wurde – als Streitschlichter konnte der belarussische Präsident Lukaschenko einen Erfolg verzeichnen. Der Aufstand konnte letzten Endes friedlich beendet werden, obwohl Putin in einer Videoansprache Prigozhin des Verrats bezichtigt hatte, unter anderem dessen Verhaftung wegen Organisation eines bewaffneten Aufstandes angeordnet hatte, und schloss mutmaßlich eine Liquidierung von Prigozhin nicht aus. Über Prigozhin sprach Putin, ohne dessen Namen zu erwähnen. Ähnlich passierte es auch im Falle von Aufständigen wie Navalny. 

Lukaschenko als Vermittler

Dabei sind Prigozhin und Putin bekanntermaßen enge Vertraute – wie sonst hätte in einem Regime wie Russland eine Privatarmee derart schnell wachsen und hochgerüstet werden können. Kaum ein Mitglied der russischen Regierung kann öffentlich so hart die Kriegsführung des Verteidigungsministeriums kritisieren, wie es sich Prigozhin – als Privatunternehmer – erlaubt. Wenn es also jemand mit Putin aufnehmen kann, dann ist es er.  Wie es mit der Zusammenarbeit der Privatarmee und der russischen Regierung in Zukunft aussieht, ist unklar. Bereits am Samstagnachmittag wurden Wagner-Werbeplakate in den Großstädten entfernt. Die russische Medienaufsicht „Roskomnadzor“ hat zudem alle Social-Medien-Kanäle der Wagner-Armee gesperrt.

Neue Gesetze in Windeseile beschlossen

Die Preise für Flugtickets aus Moskau stiegen vorübergehend in exorbitante Höhen: Etwa 200.000 Rubel, etwas mehr als 2.000 Euro, kostete so ein Ticket in die armenische Hauptstadt Jerewan. Heute belaufen sich die Flugticket-Preise übrigens wieder auf etwa 200€, also zehnfach weniger als am Wochenende. In Windeseile unterzeichnete Putin einige neue Gesetze, beispielsweise zu Freiheitsstrafen bei Verstoß gegen das Kriegsrecht, und auch zur Rekrutierung von Gefängnisinsassen für die russische Armee. Letzteres ist übrigens kein Novum, hat doch schon Prigozhin seine Privatarmee mit Häftlingen erst hochgezogen. Lukaschenko kann sich indes als „Retter Russlands“ inszenieren, der sozusagen die Geister, die Putin rief, rechtzeitig abwimmeln konnte. Prigozhin soll sich laut Medienberichten mittlerweile in Belarus aufhalten, die Ermittlungen wegen gegen ihn laufen dennoch weiter, hieß es in einer heutigen Aussendung*. Der Wagner-Aufstand nahm also ein Ende mit Schrecken. Welche Vereinbarungen genau getroffen wurden, ist bisher nicht bekannt.

Niederlage für Putin?

Das hinterlässt viele Fragezeichen, sowohl innerhalb von Russland, als auch international. Wie sollte man die Geschehnisse nun einordnen? Hätte dies der Sturz des Putin-Regimes sein können? Was hätte ein vollzogener Aufstand für den Verlauf des Ukrainekriegs bedeutet? Waren dies die ersten Risse, die sich durch die Russische Föderation ziehen?

Eines wissen wir: Die russische Innenverteidigung ist womöglich gar nicht so stark, wie sie den Anschein hat. So konnten Organe wie der Geheimdienst FSB, die Nationalgarde und das Innenministerium eigentlich nicht viel gegen Prigozhins Aufstand unternehmen. Auf Präsident Putin wirft die politisch-destabilisierte Lage in Russland kein gutes Licht: Prigozhin sprach in einer Videobotschaft ganz offen über für den Präsidenten geschönte Zahlen von militärischen Verlusten, die in Wahrheit drei bis vier Mal höher seien. Auch für die Staatspropaganda, die seit 15 Monaten das militärische Vorgehen in der Ukraine auf ihre eigene Art rechtfertigt, muss nun mit Erklärungen für das Geschehene aufwarten, um Misstrauen in der Bevölkerung entgegenzuwirken.

Wie so oft bei innerrussischen "Tragödien", geht es schnell zur Tagesordnung zurück. Der heutige Montag wurde von der Regierung zum arbeitsfreien Tag erklärt. Es brodelt dennoch weiter – der Krieg ist definitiv in Russland angekommen. Nach diesem Wochenende ist auf lange Sicht ein Bürgerkrieg in Russland durchaus kein Ding der Unmöglichkeit.   

 

*Mittlerweile hat der russische Geheimdienst FSB die Ermittlungen zum Aufstand eingestellt.

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Kommentare

 

Die Frage wird sein, inwieweit die ukrainische Armee in der Lage ist, eine wirkungsvolle Offensive durchzuführen und durchzuhalten und wie sich die russische Gegenwehr gestaltet. Geländegewinne im Bereich von selbst nur 1 Kilometer sind sicher positiv zu bewerten. Bedenkt man aber, dass die russische Armee etwa 1/5 der Ukraine in Beschlag hält, ist dies eine Frage der Verhältnismässigkeit. Die Ukraine muss in die Lage versetzt werden, die russische Gegenwehr massiv zu beeinträchtigen. Was nur Insider wissen, ist, ob Moskau in der Lage ist, in einem Abnutzungskrieg gegen die Ukraine zu bestehen. Hier könnte der strategische Erfolgsschlüssel für Kiew liegen. Diese Schiene muss auf jeden Fall durch den Westen nachhaltig gefahren werden.

 

V. Putin hat sich erst überschätzt und dann verrannt. Weiter, als auf das Stückchen Ukraine kommt er nicht und das weiss er wohl auch. A. Lukaschenko hingegen ist völlig verrückt und damit weit gefährlicher. Hoffentlich hat er nicht wirklich die Hand an der Atomwaffe.

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