"Wir brauchen eine Allianz der Vernünftigen"

07. Juni 2017

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Thomas Schmidinger
Politologe Thomas Schmidinger

Meine Oma sagt immer:„Pass auf dich auf.“ Doch geht das überhaupt, wenn Terroranschlag auf Terroranschlag folgt? Der Politologe Thomas Schmidinger erklärt im BIBER-Interview warum es England zuletzt hart traf, Österreich bislang verschont blieb und was es anstelle von Sobotkas angedachten Fußfesseln wirklich braucht.

 

BIBER: In weniger als drei Monaten ereigneten sich in England drei islamistisch motivierte Terroranschläge. Mehrere weitere sollen vereitelt worden sein. Warum ist England ein dermaßen beliebtes Ziel für Anschläge?

 

SCHMIDINGER: Erstens ist Großbritannien ein relativ großer Staat mit einem großen Resonanzraum. Terrorismus ist immer eine Kommunikationsstrategie und somit macht es Sinn sich Staaten zu suchen, die große Resonanzräume darstellen, wie es etwa Großbritannien, Deutschland oder Frankreich tun. Der zweite Punkt ist, dass es in Großbritannien einen relativ großen Anteil an radikalisierten jungen MuslimInnen gibt, die teilweise auch in den Communities aufgefallen sind, wie man beim letzten Attentäter gesehen hat. Trotzdem ist von den Behörden offenbar nichts unternommen worden. Bei Großbritannien handelt es sich allem Anschein nach um einen Staat, in dem die Überwachung von Verdächtigen nicht funktioniert. Und das trotz aller technischer Überwachungsmöglichkeiten, die es dort wesentlich ausgeprägter gibt als in Österreich. In Wirklichkeit wird weitgehend weggeschaut, auch wenn aus den muslimischen Communities selbst Anzeigen kommen. Insofern ist es in Großbritannien für potentielle Attentäter leicht, sich unbeobachteter zu bewegen als in manchen anderen europäischen Staaten.

 

Die Stimmung in der englischen Bevölkerung ist noch verhältnismäßig ruhig. Man hört von keinen Ausschreitungen. Sind im Falle weiterer Terroranschläge Übergriffe auf muslimische BürgerInnen dennoch denkbar?

 

Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber es ist schon so, dass die britische Bevölkerung bisher gefasster darauf reagiert hat, als manch andere europäische Bevölkerung es getan hätte. Grundsätzlich ist es so, dass es in Großbritannien natürlich auch Rassismus gegenüber MuslimInnen gibt und der dschihadistische Terror würde es am liebsten sehen, wenn es zu Ausschreitungen kommen würde. Darauf mit Gelassenheit zu reagieren, ist genau das Richtige.

 

Auch wenn die allergrößte Mehrheit der MuslimInnen friedlich ist, lässt sich nicht leugnen, dass der Islam ein Problem mit Terrorismus und Fanatismus hat. Warum gerade diese Religion?

 

Ich weiß nicht ob DER Islam ein Problem damit hat. Es gibt auch in anderen Religionen Strömungen, die terroristische Methoden anwenden: In Burma schlachten Buddhisten MuslimInnen ab, der Hindufundamentalismus hat ebenfalls ein Problem mit Terrorismus und natürlich gab es in der Geschichte auch christlichen und jüdischen Terror. Selbstmordattentate wurden in den 80er-Jahren aus Ostasien in den Nahen Osten importiert. Das ist nichts, was es schon Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte in der islamischen Welt gäbe. Insofern sehe ich nichts Islamspezifisches daran. Das Problem ist, dass der Nahe Osten seit vielen Jahren in zunehmendem Maße von militärisch geführten Konflikten durchzogen ist und zudem in den letzten dreißig Jahren verstärkt Strömungen aufkamen, die Religion benutzen, um ihre Ideologie zu transportieren. Es sind außerdem nicht nur geborene MuslimInnen, die solche Anschläge verüben. Eine Minderheit europäischer Jugendlicher findet das offenbar attraktiv und konvertiert zum Islam. Und selbst die geborenen muslimischen AttentäterInnen sind oftmals „reborn muslims“, die erst im jihadistisch verstandenen Islam wieder „religiös“ wurden.

 

Wie schätzen Sie die Möglichkeit ein, dass auch Österreich ein Ziel von Anschlägen werden könnte?

 

Die Möglichkeit ist natürlich gegeben – sie ist in ganz Europa gegeben.

 

Warum denken Sie, ist bislang noch nichts in Österreich passiert?

 

Das ist teilweise sicherlich ein glücklicher Zufall. Und teilweise haben die Behörden aufgrund der Überschaubarkeit des Landes die Szene besser im Griff als Großbritannien.

 

Wie schätzen Sie das von Innenminister Sobotka vehement geforderte Sicherheitspolizeigesetz ein, das mitunter eine elektronische Fußfessel für „Gefährder“, eine Ausweitung der Überwachung der Internetkommunikation, eine Vernetzung von Überwachungskameras und eine automatische Kennzeichenerfassung vorsieht?

 

Ich sehe in diesen Methoden wenig Sinn. Was haben wir von einer Fußfessel für Gefährder? Das heißt schlicht und einfach nur, dass jemand die Umgebung seines Hauses nicht verlassen kann. Was er aber dort tut, mit wem er sich trifft, darüber wissen wir durch eine Fußfessel überhaupt nichts. Was man braucht, um die österreichische Szene halbwegs im Griff zu halten, sind zwei Dinge: Auf der polizeilichen Ebene braucht es die klassische „Human Intelligence“ (Anm. Erkenntnisgewinn aus menschlichen Quellen). Außerdem benötigt man vermehrt Präventionsarbeit durch Leute die entsprechend mit den Communities arbeiten können, sie auch sprachlich und inhaltlich kennen. Dorthin sollten finanzielle Mittel fließen. In bloße Überwachung mit rein technischen Spielzeugen zu investieren, macht wenig Sinn. Gerade das zeigt auch das britische Beispiel. Dort gibt es relativ viel elektronische Überwachung. Im Nachhinein weiß man dann immer, dass man die Attentäter gekannt hat, aber was nützt das den Toten, die dem Anschlag zum Opfer gefallen sind?

 

Die britische Premierministerin Theresa May meinte, sie würde eine Schwächung der Menschenrechtsgesetzgebung für den Fall in Kauf nehmen, dass damit etwas bewirkt werden könnte. Auf wie viel Einschränkung der persönlichen Freiheit sollte man sich in den kommenden Jahren gefasst machen?

 

Menschenrechte dürfen nie zur Debatte stehen. Wer das tut, begibt sich auf eine Ebene mit dem Terrorismus und verhilft ihm zu einem moralischen und politischen Sieg. Selbstverständlich brauchen neue Herausforderungen manchmal auch neue gesetzliche Grundlagen für die Polizeiarbeit. Diese müssen aber immer den Menschenrechten entsprechen. Die persönliche Freiheit ist letztlich genau das, was wir gegen den IS und andere dschihadistische Gruppen zu verteidigen haben. Wenn wir diese leichtfertig opfern, sorgen wir damit für einen Sieg der Gegner der Freiheit.

 

Haben Sie Tipps an die Bevölkerung für den Ernstfall? Wie sollte man sich verhalten?

 

Wichtig ist es, rational, ruhig und überlegt zu handeln. In der konkreten Situation ist das natürlich besonders schwierig. Vor allem aber dürfen wir den Terroristen nicht die Freude machen, MuslimInnen pauschal zu verdächtigen oder gar anzugreifen. Genau das ist die Reaktion, die sie bei uns provozieren wollen. Wir brauchen eine Allianz der Vernünftigen im Alltagsleben sowie in der Politik, die unsere Vielfalt und Demokratie verteidigt.

 

Ist ein Ende des islamistischen Terrors in Sicht?

 

Nein.

 

Wie lange wird es den IS noch geben?

 

Es wird den IS als Organisation und auch andere terroristische Gruppierungen noch lange Zeit geben. Der IS wird gerade militärisch in der Region zerschlagen. Das heißt aber nicht, dass er als Organisation aufhört zu existieren. Wir werden sicher damit rechnen müssen, dass wir noch mindestens ein Jahrzehnt mit diesem Problem konfrontiert sein werden.

 

Zur Person: Thomas Schmidinger, geboren 1974, ist Politikwissenschaftler und Sozialanthropologe. Er lehrt mitunter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

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