Wo sind die ganzen Araber?

09. September 2015

Jaja, ich weiß. Du kannst nichts mehr über Flüchtlinge hören, sehen oder gar lesen. Auch jene Menschen, die normalerweise nichts mit Politik am Hut haben, haben es mitbekommen: Die Syrer sind da. Einige bleiben, einige fahren nur vorbei und verfolgen dann ein anderes Ziel. Man kann von ihnen halten, was man will, es geht mir hier nicht um die Syrer, sondern um jene, die ihnen helfen und jene, die wegschauen.

Wir regen uns tüchtig über Europa auf (ist auch richtig so), aber was die Regierung nicht schafft, haben Menschen erschaffen: Hoffnung, Hilfe und viel Freudentränen. Wo sind die Araber, die auf ihren aufgeblasenen Hinterteilen sitzen, während Erdogan über eine Million Flüchtlinge empfangen hat? Wo sind sie nun, eure meterlangen Tische, die mit Gaumenfreuden aus aller Welt gedeckt sind, die euch einen Platz in das Guinness-Buch der Rekorde garantieren sollen? Wo sind eure Feuerwerke, die jedes Jahr zu Silvester so hell leuchten, dass die ganze Welt darüber berichtet? Und noch wichtiger: Mit wessen Blut und Schweiß habt ihr all das bezahlt?! Wie viele syrische Ärzte, Ingenieure und Lehrer gibt es in den arabischen Emiraten? Wer hat eure Straßen für euch gebaut? Es wundert mich aber ehrlich gesagt nicht, dass ihr wegschaut - aus Erfahrung nicht.

Es gibt ein altbekanntes arabisches Lied, das übersetzt „Der arabische Traum“ heißt. In diesem Lied singen berühmte arabische Sänger aus verschiedenen Ländern, was für eine Einheit wir Araber doch nicht sind, Hand in Hand und so ein Schmäh. Wenn ich dieses Lied heute höre, muss ich lachen, denn wenn wirklich jemand den syrischen Flüchtlingen an Hoffnung schenkt, dann sind es keineswegs die Araber, sondern die Österreicher.


Ich kann mir nur wünschen, dass jeder von ihnen dieses Gute eines Tages tausendmal zurückbekommt. Jeder Österreicher, der die Träne einer syrischen Mutter wischte, ein syrisches Kind fütterte, oder auch nur liebevoll ein Willkommens-Plakat hielt, wird für immer in deren Gebete eingeschlossen sein. Was ihr erschafft habt, ist in Worten kaum erfassbar, denn manche Taten muss man selbst erlebt haben, um sie zu verstehen. Wie soll man auch jemandem erkären, wie es sich anfühlt, wenn ein Arzt, mitten in der Nacht, am Hauptbahnhof eine Entbindung möglich macht? Wie soll man das Gefühl beschreiben, das ein Kind empfindet, wenn es verängstigt aus Ungarn kommt und ihr es in die Arme nehmt, zum Lachen bringt und füttert? Was ihr schreibt, ist Geschichte, ihr habt dort angefangen wo Politik versagt hat und sie hat schon vor Beginn gewaltig versagt. Jedes Lachen, jede neugeborene Hoffnung, jedes Freudengefühl einer jeden Mutter, habt ihr erschaffen. Danke, Wien. Danke, Österreich.


 

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