1 Anwalt für 66.382 Fälle

22. Februar 2019

Mit seiner erfolgreichen Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof hat sich der Vorarlberger Anwalt Kazim Yilmaz in den medialen Fokus gespielt – und hat damit die Ausbürgerung Tausender Austro-Türken verhindert, die auf einer ominösen Wählerliste standen.

von Amar Rajković, Naila Baldwin (Mitarbeit) Foto: Soza Almohammad

Wien, Innere Stadt. Zwischen Justizpalast und Volkstheater liegen die Räumlichkeiten der Anwaltskanzlei „Kazim Yilmaz“. Minimalistisches Interieur, großzügige, helle Räume und moderne Möbel erwarten die Klienten, die sich hier vertreten lassen. An diesem Abend geht es etwas lockerer zu. Promis und Fotografen stehen sich gegenseitig auf den Füßen, es wird ausgelassen Sekt getrunken und Finger Food gesnackt. Der Gastgeber, Kazim Yilmaz, bittet seine illustren Gäste mit aufs Foto: Rechts außen steht der Teppichhändler Ali Rahimi, daneben der Designer Atıl Kutoģlu, in der Mitte der Gastgeber und links außen der damalige Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz. Dieser spart bei seiner Eröffnungsrede nicht mit Komplimenten: „Ich habe Dr. Kazim Yilmaz als verlässlichen, kompetenten, service- und leistungsorientierten Partner und Integrationsbotschafter kennengelernt, der über soziale Verantwortung nicht nur spricht, sondern sie auch wirklich lebt.“

Kazim Yilmaz und Kanzler Kurz
Soza Almohammad

"Mir kann niemand etwas vormachen"

Das war der Abend des 14. Oktober 2014. Laut der damals anwesenden Gäste ein rundum gelungener Abend. Mittlerweile ist Kurz Kanzler und Yilmaz Staranwalt. Staranwalt, das wäre sicher nicht die Eigenbeschreibung des 37-Jährigen. Das ist jedoch einzig seiner Bescheidenheit geschuldet. Das von Yilmaz erwirkte Urteil des Verfassungsgerichtshofes trägt überall Sternenstaub auf den Papierrändern. Immerhin können zehntausende Betroffene aufatmen. Was war passiert? Am 17.12.2018 gab der Verfassungsgerichtshof bekannt, dass die nicht authentische „Wählerevidenzliste kein taugliches Beweismittel“ sei. Auf der Liste standen Personen, die angeblich noch ihren türkischen neben ihrem österreichischen Pass besitzen, was illegal ist und zum Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft geführt hätte. Es war ein Knalleffekt in der emotional geführten Debatte, die der Klub der Wiener Freiheitlichen mit der ominösen Liste angestoßen hatte. Insgesamt befanden sich darauf Daten von 66.382 Personen. Die meisten von ihnen können dank Yilmaz‘ Beharrlichkeit nun aufatmen. Der Sohn von Gastarbeitern behält vor dem Verfassungsgerichtshof recht. Eine Schlagzeile mit Symbolcharakter, angesichts des Bildes, das einige Medien von Austrotürken zeichnen. Rückwärtsgewandt, frauenfeindlich, islamistisch und Erdogan-hörig. Eigenschaften, die beim Tête-à-Tête mit dem 37-jährigen Vorarlberger absurd erscheinen.

Kindheit in Vorarlberg

Irgendwann mal in den späten 80ern muss es gewesen sein als der Grundstein für Yilmaz‘ Karriere gelegt wurde. Die Familie lebte in einer kleinen Gemeinde Vorarlbergs, unweit von Dornbirn, wo er geboren wurde. Sein Vater kam in den 70ern aus der Türkei, um am Bau zu arbeiten. Die Mutter war Hausfrau und passte auf die sieben Kinder auf. „Ich wusste, ich möchte einen Beruf ausüben, in welchem ich so viel Wissen in mir trage, dass mir und meiner Familie niemand was vormachen kann“, schildert Yilmaz, während er aus dem Fenster seiner Kanzlei in Richtung Justizpalast blickt. „Ich weiß nicht ganz genau wann, aber ich habe irgendwann erkannt, dass der Anwaltsberuf ein solcher Beruf ist“, so Yilmaz. Seine Augen fangen in diesem Moment zu leuchten an. Der kleine Kazim, dem die soziale Herkunft eher eine Lehre oder Schichtarbeit suggeriert, war beeindruckt und kam zum Entschluss: Ich werde Anwalt! Gerade weil seine Eltern zwar Teil der Gesellschaft waren, aber kein vollwertiger Teil. „Mir wurde relativ rasch klar, dass wir (Anm. d. Red.: die „Türken“) anders behandelt werden, teilweise wie Menschen zweiter Klasse – sei es im privaten Umfeld, wenn die Nachbarin wiedermal unberechtigt nervt, weil angeblich die Kinder zu laut sind, oder beim Fußballmatch, wenn dir der Gegenspieler ‚Kanake‘ zuruft“, erinnert sich der FC Bayern München-Fan.

Anwalt Kazim Yilmaz
Soza Almohammad

"Aufgeben tut man einen Brief"

Zurück in der Kanzlei. Yilmaz schildert den Fall einer Ärztin mit türkischem „Hintergrund oder Vordergrund“, wie er es formuliert. Sie sitzt in seinem Büro, aufgelöst, den Tränen nahe, verzweifelt. Sie habe Angst alles, was sie sich in Österreich aufgebaut hat, zu verlieren. „Das müssen sie sich vorstellen“, schlägt Yilmaz auf den Tisch. „Nur aufgrund einer Liste, von der niemand weiß, wer sie erstellt hat, werden Menschen hier vor die Trümmer ihrer Existenz gestellt“, so Yilmaz. Dieser Fall oder der Fall eines vor 40 Jahren in Österreich niedergelassenen Mannes, der seit 1997 die Staatsbürgerschaft besitzt und der mit der Aberkennung ebendieser rechnen musste. Das Verwaltungsgericht erkannte die Entscheidung der Wiener Landesregierung an (MA35), die letzte Chance war der Gang zum obersten Gericht der Republik. In diesem Moment fühlte er sich an die Zeit im Innsbrucker Sportklub (ISK), bei dem er während seines Studiums aktiv war, erinnert. Dort fiel der Spruch, den jeder aus dem Fußballtirol kennt, nämlich „Aufgeben tut man an Brief.“ So simpel und trivial und doch passt der Satz als Lebensmotto des graumelierten Anwalts, der eigentlich im Wirtschaftsrecht zu Hause ist. Bei solcher evidenter Ungerechtigkeit und aufgrund seines türkischen Erbes konnte Yilmaz gar nicht anders als die Fälle seiner türkischen Mitmenschen anzunehmen. In der Zwischenzeit wurden immer mehr Ausbürgerungsverfahren eingeleitet, immer mehr Betroffene betraten die Kanzlei, die vier Jahre zuvor mit den Worten des jetzigen Bundeskanzlers eröffnet wurde. „Das komische dabei war ja, dass just im Wahlkampf zu den Nationalratswahlen 2017 der USB-Stick mit der ominösen Liste den Freiheitlichen urplötzlich in den Schoß gefallen ist“, stellt Yilmaz verwundert fest. Trotzdem wolle er sich auf Verschwörungen nicht einlassen, die von allen Seiten auf den Fall einprasseln. „Ob innen- oder außenpolitische Akteure, die ein etwaiges Interesse daran haben könnten, dass tausende ÖsterreicherInnen mit türkischen Wurzeln ihre Staatsbürgerschaft verlieren, dahinter stecken, ist nicht klar“, so Yilmaz.

Dürüm und Melange

Damit ist jetzt Schluss und alleine knapp 20.000 Betroffene in Wien (über 60.000 bundesweit) haben keine Ausbürgerung mehr zu befürchten. Die Genugtuung darüber kann Yilmaz nicht verbergen. Wie sich sein Verhältnis zum Bundeskanzler Kurz in den letzten vier Jahren verändert habe, wollen wir wissen. Yilmaz sieht es ganz nüchtern: „Ich habe ihn damals in Istanbul kennengelernt und unterstütze das Projekt noch immer („Zusammen Österreich“ - erfolgreiche Migranten besuchen Kinder in sozial schwachen Schulen) vollinhaltlich. Die Zeit mit den Kids in der Schule ist so wertvoll, weil sie immer ehrlich zu dir sind“, schwärmt Yilmaz. Pikant ist die Tatsache, dass der Anwalt mit der Klage beim VfGh gegen den Koalitionspartner von Kurz‘ ÖVP – Straches FPÖ – erfolgreich war. Das hat anscheinend Yilmaz Beziehung zu Kurz nicht negativ beeinträchtigt. Die Zeit ist abgelaufen, der vielbeschäftigte Anwalt hat schon den nächsten Termin vor der Brust. Abschließend stellen wir die Frage, wie er sich seinen Lebensabend vorstellt. Yilmaz hält kurz inne. Dann schmunzelt er und sagt: „Irgendwo in einer Hütte in den Bergen, aber nicht zu weit weg von der Stadt. Dort arbeite ich an einzelnen Fällen und gehe an einem sonnigen Nachmittag auf den Naschmarkt, auf gemütlich. Mit Dürüm und Melange.“ 

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