„Haben alle Flüchtlinge am 1. Jänner Geburtstag?“

23. Oktober 2023

Wie bei vielen Menschen mit Fluchthintergrund, steht im Pass unserer Gastautorin das Geburtsdatum 1. Jänner – obwohl ihre Geburtsurkunde das richtige Datum verrät. Wie dieses kleine Detail zu einer Machtprobe zwischen ihr und den Behörden wurde.

Von Rihanna Husseini

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

Ich habe zwei Geburtstage. Ein Mal am 2. Juni – der Tag, an dem ich zur Welt gekommen bin; und dann noch am 1. Jänner – der Geburtstag, den mir die Republik Österreich verpasst hat. An diesem Tag haben viele Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind, ihren offiziellen Geburtstag. So viele, dass wir einander gar nicht fragen, „wann hast du Geburtstag?“, sondern „hast du auch am 1. Jänner?“. Dabei ist so gut wie niemand von uns an diesem Tag geboren. Wie kann das sein? Wenn wir aus unseren Herkunftsländern nach Europa flüchten, ist eine der ersten Fragen der Asylbeamten die nach dem Geburtsdatum. Viele von uns haben keine Dokumente dabei, weil Schlepper sie uns abgenommen haben, oder weil sie auf der Flucht verloren gegangen sind. Oft können wir nur das mitnehmen, was wir an Kleidung am Leib tragen. Auch ist der Kalender in Ländern wie Afghanistan ein anderer und wir wissen bei der ersten Einvernahme gar nicht, welches Jahr und welcher Monat im gregorianischen Kalender, der in Europa verwendet wird, gerade ist. Wer kein Dokument dabei hat, mit dem er oder sie nachweisen kann, wann man zur Welt gekommen ist, bekommt von der Asylbehörde das Geburtsdatum 01.01. und das Jahr, das man angibt, verpasst. Ich glaube, das machen sie so, weil man das am schnellsten in den Computer eintippen kann.

Manchmal hören die Asylbeamt:innen auch einfach nicht zu und schreiben ein falsches Geburtsdatum in den Asylantrag. Es kommt aber auch vor, dass Asylwerber:innen beim Geburtsdatum schummeln. Manche machen sich jünger, damit sie noch in die Schule gehen und etwas lernen dürfen. Wer nämlich schon 17 Jahre alt ist, darf nur in den Deutschkurs gehen, aber nicht mehr in die Schule. Viele wollen aber noch etwas lernen, wollen einen Schulabschluss machen, wollen die Matura machen und vielleicht auch studieren. Deshalb geben sie sich viel jünger aus. Es gibt aber auch welche, die schon über fünfzig Jahre alt sind und sich als 65-Jährige ausgeben, damit sie gleich in Pension gehen können. Sie haben in ihrem Heimatland schon sehr viel körperliche Arbeit geleistet und wissen, dass es für sie in Österreich sehr schwer sein wird, die Sprache zu lernen und einen Job zu finden. Also versuchen sie, es direkt in die Pension zu schaffen.

 

„Haben Sie die Geburtsurkunde gefälscht?“

Ich hätte sehr gerne meinen echten Geburtstag im Pass stehen. Vor kurzem musste ich nämlich einen neuen Flüchtlingspass beantragen, weil meiner abgelaufen war. Und das eigene Geburtsdatum, das ist etwas ganz Besonderes, ein Tag, auf den man sich freut und der einem wichtig ist. Diesen Tag hätte ich sehr gern in meinem Pass stehen. Meine Mutter hatte zuvor extra meine Geburtsurkunde aus dem Iran besorgt und übersetzen lassen. Wir hatten sogar einen Stempel vom Familiengericht, dass diese Geburtsurkunden echt waren. Aber als die Beamtin unseren Passantrag nahm, vergaß meine Mutter, ihr auch die Geburtsurkunde zu geben. Es waren nur zwei Minuten vergangen, bis meiner Mutter dieses Versehen auffiel. Sie ging sofort zu der Beamtin und bat sie, das Geburtsdatum zu ändern. Da wurde diese Frau sehr unhöflich und sagte, das sei jetzt zu spät und außerdem wisse sie ja nicht, ob diese Geburtsurkunden echt seien. Meine Mutter bat sie nochmals, wirklich sehr freundlich und lieb, mein echtes Geburtsdatum einzutragen und sagte ihr, dass das für ihre Tochter sehr wichtig sei. Da wurde diese Frau aber nur noch respektloser zu ihr. Weil ich es nicht ertragen konnte, dass jemand vor mir so unfreundlich zu meiner Mutter war, fragte ich sie sehr höflich, wieso das nicht ginge, wo das doch ihr Job sei, für den sie bezahlt werde. Da war die Beamtin sichtbar überrascht, dass ich so gut Deutsch kann. Sie nahm meine Geburtsurkunde und verschwand. Aber dann kam eine andere Beamtin und sagte wieder, man könne doch nicht wissen, ob wir die Geburtsurkunde nicht vielleicht doch gefälscht hätten. Dabei hatten wir den Stempel eines österreichischen Gerichtes, das mein echtes Geburtsdatum bestätigte. Aber bei der Fremdenpolizei hieß es, ich könne mich entscheiden: Entweder ich nehme einen Pass, auf dem im Feld „geboren am“ das Datum 01.01 steht, oder ich müsse einen neuen Antrag stellen und dann dauert alles viel länger. Manchmal habe ich auch das Gefühl, für die Beamten dort ist das ein kleines Machtspiel. Ich habe dringend einen neuen Pass gebraucht, weil ich diesen Sommer die Möglichkeit habe, auf ein Sprachcamp nach Malta zu reisen, um mein Englisch zu verbessern. Also habe ich aufgehört zu streiten. Jetzt habe ich meinen neuen Reisepass und freue mich auf die Malta-Reise. Aber wenn mich dort wer fragt, wann ich Geburtstag habe, muss ich wieder „offiziell am 1. Jänner“ sagen.

 

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