Das Unglück der Eurokraten

04. Dezember 2009



Sie war noch nie in einem EU-Gebäude. Und doch kennt die Slowakin Elena das Innenleben der EU sehr gut – auf ihre ganz spezielle Weise. Ein exklusiver Einblick.

 

Die übliche Hektik im Brüsseler Europaviertel. Zwischen Kommission und Ratsgebäude hetzen Beamte, Lobbyisten und Geschäftsleute aus allen Teilen des Kontinents aneinander vorbei. Viele sind nicht freiwillig hier. Bezahlte Wohnungen, fette Zulagen, die Aussicht auf einen Karrieresprung nach der Rückkehr machen das Heimweh erträglich. Das ist die eine Spezies im EU-Viertel. Die andere Spezies ist genauso wenig freiwillig hier, nur ohne bezahlte Wohnung, ohne Zulagen, ohne Zukunftsperspektiven und mit ganz viel Heimweih. So wie ich, Elena aus der Ostslowakei, 42 Jahre alt. Sechs Tage pro Woche schiebe ich in einem kleinen Eckcafe Dienst, meine beiden Kinder sind in der Slowakei bei den Großeltern, mein Mann hat sich vertschusst, das Geld für Schule und Essen meiner Kleinen muss ich alleine zusammen zu kratzen. Versuch das mal in der Ostslowakei, ohne Ausbildung, in Zeiten wie diesen. Also ging ich nach Brüssel. Ins Zentrum Europas. Dort wo es einen Job geben muss. Mein Eckcafe spiegelt sich in der Glasfassade des Kommissionsgebäudes. Obwohl ich diesen mächtigen Maschinenraum Europas nie betreten habe, kenne ich das Innenleben auf meine Art. Denn ich weiß, was in den Köpfen der vor allem männlichen EU-Bürokraten vorgeht, die sich nach Dienstschluss bei mir ausweinen.

 

 

 

EINSAME KARRIEREN

Als ich hier ankam, dachte ich, EU-Beamte seien glückliche Menschen, mit ihren feinen Anzügen, schonen Autos und dicken Brieftaschen. Ein paar Nachtschichten später hatte sich meine Meinung geändert. Schnell wurde mir klar: Sie haben zwar gute Jobs und ausreichend Geld, konzentrieren sich aber nicht auf die wesentlichen Dinge des Lebens – wie Familie und Freunde. Die meisten von ihnen sind geschieden oder waren nie verheiratet, was mich nicht wundert. Diese Menschen sind sehr egoistisch und leben nur für ihre Karriere. Sie wollen immer hoher hinaus und schielen ständig neidisch darauf, was andere haben. Deshalb sind sie sehr einsam. Andere meiner Gäste – einfache Belgier – leben mehr in den Tag hinein und sind viel entspannter. Sie haben sicherlich viel weniger Geld und berufliche Möglichkeiten, sind jedoch die weitaus glücklicheren Menschen.

 

FASSADE

Jene Eurokraten, die schon lange hier sind, scheinen ihre nationale Identität irgendwo abgegeben zu haben und wirken wie gut funktionierende Räder im großen Getriebe der Europäischen Union. Sie tragen sogar diese ganz speziellen Anzüge, die nur EU-Beamte tragen. Sie sind schwer zu beschreiben, aber auch ihr wurdet sie erkennen. Ich stelle mir oft vor, wie superkorrekt und höflich sie den ganzen Tag sein müssen, da drüben hinter der Glasfassade. Ihre andere Seite bekomme ich dann zu Gesicht. Sie behandeln mich eher von oben herab. Sie werfen das Geld auf die Theke, als wurde es sie überhaupt nicht kümmern – dabei sind sie beim Trinkgeld äußerst geizig. Die belgischen Straßenarbeiter geben mehr. Oft schauen sie mir bei der Bestellung gar nicht in die Augen und ignorieren mich auf ihre arrogante Art. Ich bleibe aber immer freundlich. Meine Eurokraten trinken viel und werden dann ausgesprochen redselig. Sie verstehen nur leider nicht, dass man nicht immer Zeit hat, ihnen seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Sie denken, es gehört zum Job einer Bardame dazu, immer
zuzuhören und gut aufgelegt zu sein. Da sitzen sie dann bis halb fünf
in der Früh und reden über ihre intimsten Probleme –
und um neun Uhr am nächsten Tag sollen sie wieder
ihren anspruchsvollen Jobs nachgehen. Bewundernswert.

 

LOCKER NUR AM HOCKER

Wenn sie betrunken und endlich locker sind, kommt es vor, dass sie mich im Vorbeigehen scheinbar unabsichtlich berühren. Einige vergleichen mich sogar mit einer Prostituierten – weil ich nachts arbeite und meine Kunden häufig Männer sind. Doch eine Prostituierte verlangt für eine halbe Stunde so viel, wie ich in der ganzen Nacht verdiene. Aber im Ernst: Sollte mich einer meiner Gäste je fragen, ob ich seine Frau werden will – ich wurde auf jeden Fall nein sagen. Natürlich spielt Geld eine entscheidende Rolle im Leben und einige meiner Probleme wurden sich auf einen Schlag losen. Doch ich wurde niemals glücklich werden. Ich will irgendwann heim zu meinen Kindern, egal ob mit oder ohne Mann. Deswegen ist es vielleicht gut, dass meine Gäste in der Früh wieder ihrer Karriere nachhetzen. Damit bringen sie wenigstens Europa voran. Und vielleicht profitieren mein Land und meine Kinder irgendwann davon. Also, Sperrstunde ist, gute Nacht meine Lieben, die Arbeit ruft.

 

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