#ERDOGAN, DER MÄCHTIGE

08. April 2014

Korruptionsvorwürfe, Internetsperren, mächtige Widersacher – es scheint, als könnte nichts den türkischen Premier Erdogan vom Thron werfen. Aber der Machtkrieg mit seinem Gegner Fethullah Gülen hat einen Riss in der islamisch-konservativen türkischen Community hinterlassen, auch in Wien.

Von Rusen Timur Aksak, Marina Delcheva und Marko Mestrovic (Foto)

Wären die türkischen Kommunalwahlen vom 30. März auf dem Wiener Brunnenmarkt durchgeführt worden, hätte die AKP unter Premierminister Erdogan weit mehr als 45 Prozent bekommen. Hier hat Recep Tayyip Erdogan bedingungslos treue Anhänger. Sie wollen nichts von vermeintlichen Abhörskandalen, Korruption und Internet-Zensur wissen. Und manchen ist das schlicht egal. „Erdogan ist mein Held, ohne ihn wären viele Menschen in der Türkei arbeitslos“, sagt der 45-jährige Hasan Koc. Zwei junge Austro-Türken würden sogar für den AKP-Führer in den Krieg ziehen: „Wenn es einen 3.Weltkrieg gibt, wird Erdogan ihn gewinnen. 20 Millionen junge Leute stehen hinter ihm“, sagen Ibrahim (21) und Süleyman (17).

Die Macht des Sultans

Auch wenn der Premier selbst nicht direkt zur Wahl angetreten ist, ist er der Sieger. Und das trotz schwerwiegender Vorwürfe und mächtiger Widersacher. Im Dezember mussten mehrere Minister seiner Regierung nach Korruptionsaffären zurücktreten. Auf YouTube sind geleakte Telefonmitschnitte aufgetaucht, die unter anderem ein angebliches Gespräch Erdogans mit seinem Sohn Bilal enthalten, in dem es um hohe Geldsummen unbekannten Ursprungs geht. Nach der Wahl wurde ihm sogar Wahlmanipulation vorgeworfen.

Das alles lässt Erdogan und einen Großteil seiner Wähler kalt. In seiner Siegesrede tut er die Vorwürfe als Verschwörung ab und droht seinen Gegnern: „Die Wahl wird für alle eine Lektion sein, die den Willen der Nation unterdrücken wollen. Vor allem für die Lauscher in Pennsylvania.“ Mit dem „Lauscher“ ist Fethullah Gülen gemeint. Die einstigen Verbündeten sind nun bittere Feinde (siehe Analyse). Der Imam, der seit 1997 im Exil in den USA lebt, ist der mächtigste Widersacher Erdogans. Sein Netzwerk betreibt Bildungsinstitute auf der ganzen Welt. Seine Anhänger haben Schlüsselpositionen in der türkischen Justiz und im Polizeiapparat inne. Erdogan wirft ihnen vor, den Staat unterwandert zu haben und ihn selbst illegal abgehört zu haben. Jetzt will er sogar gerichtlich gegen Gülen-Anhänger vorgehen.

Gülen in Österreich

Auch in Österreich gibt es sie, die Gülen-Anhänger. Auf der anderen Seite des Gürtels, vor dem Gülen-nahen „Friede-Institut für Dialog“ im ersten Bezirk, treffen wir die „anderen“ Türken, die Anhänger von Fethullah Gülen. „Er verbreitet Toleranz, Respekt und Bildung“, sagt die türkischstämmige Akademikerin Rana S. Sie und ihre Freundinnen, die Erste-Bezirk-Türkinnen, wollen sich bewusst von den Türken auf der anderen Seite des Gürtels abgrenzen. Sie betonen mehrmals, dass sie studiert haben. Dass sie gleich nach der Karenz wieder arbeiten gehen werden und vor allem, dass sie Anhängerinnen der Gülen-Bewegung und somit keine Unterstützerinnen von Erdogan sind.

So sehen das auch andere: „Ich hatte die anderen islamischen Gruppen satt“, sagt ein 37-jähriger Architekt, der nicht namentlich genannt werden will. Dann habe er Gülens Predigten gehört und habe erkannt, dass man nicht einfach so weitermachen könne. „Bildung und Aussöhnung der Religionen ist der Schlüssel“, führt der Architekt fort. Speiste man im letzten Ramadan noch Seite an Seite, sind die Anhänger von Erdogan und Gülen heute Feinde. Fethullah Gülen ist nach dem Erdrutschsieg der AKP deutlich geschwächt. Und obwohl seine Anhänger in Österreich in der Unterzahl sind, reicht das, um einen Keil in die einst geschlossene konservative türkische Community zu treiben.

Die nächste Etage im Konflikt

Seit dem offen ausgebrochenen Konflikt zwischen den ehemaligen Verbündeten wollen nun auch andere islamische Gruppierungen mit der Gülen-Bewegung „abrechnen“. Und das ist auch in Österreich zu spüren. Die Wochenzeitung „Zaman Österreich“ ist das mediale Flaggschiff der Gülen-Bewegung hier und steht daher besonders im Fokus der Erdogan-treuen oder zumindest Gülen-feindlichen Teile der türkischen Community. Seyit Arslan, der Chefredakteur der Zaman Österreich, beklagt sich in einem früheren Leitartikel auch offen über politisch bedingte Abo-Kündigungen und unter Druck gesetzte Anzeigenkunden. Dass dabei insbesondere die Person Fethullah Gülen im Mittelpunkt der Streitigkeiten steht, ist kein Zufall. Kaum ein anderer türkisch-konservativer „Leader“ polarisiert so stark wie Gülen.

Der Chefredakteur der konservativen Zeitung „Yeni Hareket“ (Anm.: auf Deutsch „Neue Bewegung“) Yetkin Bülbül hat sich auf die „Zaman Österreich“ eingeschossen. Nebst altbekannten Vorwürfen, die Gülen-Bewegung agiere im Sinne Israels, bedauert Bülbül in der letzten Ausgabe der Zeitung, dass man damals den konservativen Zuwachs in Österreich begrüßt habe. Gemeint ist die „Zaman Österreich“, die seit 2008 erscheint. Dies sei offenbar ein Fehler gewesen.

Kaum Gegenwind für Erdogan

Trotz des internationalen Einflusses Gülens hat die AKP keinen sichtlichen Schaden davongetragen. „Auch wenn sich Gülen-Leute abwenden, haben wir gesehen, dass das überhaupt keine Auswirkungen auf die AKP hat. Europa muss akzeptieren, dass Erdogan geliebt wird in der Türkei“, sagt Ercan Karaduman von der „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“ (UETD), einer AKP-nahen Organisation. Er glaubt zudem nicht, dass die eher islamisch-konservativen Gülen-Anhänger der AKP den Rücken gekehrt haben. „Meiner Meinung nach haben einige heimlich Erdogan gewählt. Die Gülen-Anhänger werden ja nicht fundamental ihren Standpunkt ändern.“

Der Konflikt innerhalb der Community ist auch deswegen interessant, weil er nicht rein politisch ist. Während die AKP und Erdogan eindeutig politische Akteure sind, ist eine Definition der Gülen-Bewegung schwierig. Gülen hat keine eigene Partei und ist nicht zur Wahl angetreten. Er sagt lediglich: Wählt nur nicht Erdogan. „Es ist ein Netzwerk ohne feste Mitglieder. Es gibt einerseits eine Kerngruppe in der Bewegung, dann gibt es Menschen, die mit der Gülen-Bewegung sympathisieren“, sagt der Wiener Politikwissenschaftler Ilker Ataç im biber-Interview. “Die Reichweite der Gülen-Bewegung auf die Wähler ist relativ, sie wird auf zwei bis drei Prozent geschätzt.” Zudem würden viele weiterhin die AKP wählen, weil sie in der Opposition keine Alternative sehen.

Während die Anhänger Gülens dezent auftreten und manchmal ihre Sympathien verbergen, gehen die Anhänger Erdogans für ihn auf die Straße. So wie vergangenen Sommer, als sich tausende Austro-Türken zu einer Pro-Erdogan-Kundgebung in Wien versammelt haben. Sogar bei unserer Cover-Wahl in unserer Facebook-Gruppe steigen seine Fürsprecher auf die Barrikaden – Tage bevor dieser Artikel erscheint: “Leider falscher Titel... Erdogan spaltet nicht, sondern schweißt die Völker in der Türkei zusammen.“ und „Ich hoffe, ihr schreibt nicht nur schlechtes und bleibt neutral !!!!!!!!“ schreiben unsere User.

 

Credit_Erdogan: SCHACHT, HENNING / Action Press / picturedesk.com,

Hier gehts zur Straßenumfrage am Brunnemarkt:

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