"Griechen dieser Welt, tanzt!"

02. Juli 2015

Die griechische Regierung hat für den 5. Juli eine Volksbefragung anberaumt. In dieser Volksbefragung soll darüber abgestimmt werden ob die Bürger Griechenlands der Sparpolitik der Europäischen Union zustimmen oder nicht. 


Ein „Ja“ hätte zur Folge, dass die derzeitige griechische Regierung zurücktritt und Neuwahl anberaumt. Sollten die Griechen jedoch mit „Nein“ stimmen, was sehr wahrscheinlich ist, würde dies unweigerlich zum Austritt Griechenlands aus der Eurozone führen. Die Entscheidungsfrage ist daher einfach, neue Währung oder neue Regierung.

Geteiltes Land

Im Falle einer neuen Währung würden die Griechen unbekanntes Terrain betreten. Eine Umstellung auf die Drahme hätte weitreichende Folgen. Primär wäre das gesamte Geld der griechischen Sparer von einem Tag auf den anderen wertlos. Die Waren in den Supermärkten würden sich um das Vielfache verteuern. Was folgen würde, sind Hunger, Panik und Not. Die europäischen Länder und die internationale Gemeinschaft wären gezwungen, Griechenland in so einem Fall humanitäre Hilfe zu leisten. 

Was auch oft in der Griechenlanddebatte außer Acht gelassen wird, ist das Griechenland ideologisch ein zutiefst geteiltes Land ist. Auf der einen Seite steht die radikale – anarchistische Linke unter der Schirmherrschaft der Syriza und auf der anderen Seite die rechte in Form der liberal-konservativen „Nea Demokratie“ und der rechts-radikalen „Morgenröte“.

Wie gewalttätig sich diese Spannungen entladen können, hat sich im Rahmen der Krise mehrfach gezeigt. Teilweise kam es seit 2009 zu kriegsähnlichen Auseinandersetzungen auf den Straßen Athens zwischen linksradikalen, rechtsradikalen und der griechischen Staatsmacht. Im Falle eines Austritts aus dem Euro würden sich aufgrund der prekären politischen und wirtschaftlichen Situation diese Spannungen vervielfältigen.

Bürgerkampf

Die Syriza Regierung hat in der kurzen Zeit seit ihrer Machtübernahme nicht die Möglichkeit gehabt, die militärischen Strukturen im Land unter ihre Kontrolle zu bringen, diese sind nach wie vor in der Hand der konservativen und rechten Fraktionen, die seit Jahrzehnten die Führungsstruktur des griechischen Militärs stellen. Es bedarf daher nicht viel Fantasie um sich auszumahlen, dass im Falle eines Euroaustritts die Gefahr eines offenen Bürgerkriegs in Griechenland real werden würde. An Präzedenzfällen mangelt es den Griechen nicht, schon mehrmals ist es im 20. Jahrhundert zu blutigen Machtübernahmen und Bürgerkriegen gekommen. Es fehlt auch nicht an Agitatoren und Interessensgruppen, die im Falle eines Euro – Austritts im offenen Bürgerkampf die einzige Lösung sehen würden.  Die allgemeine Sorge und die Angst sind daher berechtigt. Was auf dem Spiel steht, ist nicht nur die Zukunft Griechenlands, sondern die Zukunft und die Stabilität der gesamten Europäischen Union. 

Auch ich bin von diesen Ereignissen unmittelbar betroffen. Seit 2 Jahren bin ich mit einer Griechin verheiratet und wir haben einen gemeinsamen Sohn. Die Familie meiner Frau sitzt in Athen, mein Schwiegervater arbeitet für das griechische Parlament. Täglich erfahre ich in langen Skype -Gesprächen die Neuigkeiten aus erster Hand. Mein Schwager schickt mir über Facebook mitten in der Nacht ein Foto aus Athen, auf dem er mit einem Eis in der Hand vor einer Menschenmenge steht, die sich vor einem Geldautomaten versammelt hatte.

 

Die Nachricht lautet:

 

Keep it cool bro in law. Its just 100 people waiting every 2 blocks under heavy police surveillance at midnight.“

 

Es ist lustig, ich lache, aber kriege gleichzeitig ein mulmiges Gefühl. Ich habe schon mal einen Systemzusammenbruch erlebt. 1993 bin ich aus Bosnien nach Österreich geflüchtet. Meine Heimatstadt Prijedor hat damals in einem flammenden Inferno des ethnischen Hasses und der Gewalt ihre Seele eingebüßt.  Bis heute sehe ich wie die bekannten Gesichter meiner Kindheit vom Internationalen Haager Kriegsverbrechertribunal zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt werden. Diese Ereignisse habe ich trotz redlichen Bemühens über 22 Jahre hinweg nicht überwunden, ich frage mich nun ob ich bereit bin mit meiner neu gegründeten Familie einen zweiten Systemzusammenbruch zu erleben, wenn auch nur als mittelbarer Zuschauer aber unmittelbar Betroffener.

Am Dienstag ist es dann so weit. Griechenland hat als erstes entwickeltes Land eine Ratenzahlung an den Internationalen Währungsfonds nicht bedient, der Staatsbankrott hat damit unweigerlich begonnen. Das Undenkbare ist passiert. Ich blicke an diesem Morgen traurig auf meinen Sohn hinunter. Der arme Teufel, er ist gerade 14 Monate alt geworden, kann nicht einmal sprechen, und muss miterleben, wie auch das zweite Land seiner Vorfahren im Wirbelwind der internationalen Politik zu Staub zermalmt wird. Ich habe gehofft, dass ihm dieses Schicksal erspart bleiben würde, leider scheint sich diese Hoffnung nicht zu erfüllen.

 

Krieg ohne Schüsse

Die Syriza Regierung hat am letzten Sonntag Kapitalkontrollen eingeführt, damit die Bürger nicht ihr Geld aus den Banken abziehen und dadurch das griechische Bankensystem früher als gehofft zum Einsturz bringen. Jeder Grieche darf bis aufs weitere täglich nur 60 EURO abheben. Seit den Kapitalkontrollen mehren sich die Selbstmorde in Athen. Jeden Tag stürzen sich verzweifelte Bürger von Balkons und Dächer in den Tod. Die Griechen sind stolze Menschen, mit historischer Überzeugung die Geschicke der Welt wesentlich mitbestimmt zu haben, die Demütigungen die sie derzeit erfahren müssen, nagt wie Krebs an ihren Seelen und treibt sie bis auf das Äußerste. Die Krise hat mehrere Generationen von Griechen ihrer Zukunft beraubt. Ich komme nicht umhin parallelen zu Bosnien zu ziehen, dort hat der Krieg auch mehreren Generationen die Zukunft geraubt. Nur ist der Krieg der Griechen ein ökonomischer, ein schleichender und unsichtbarer, und es erstaunt wie ohne, dass ein einziger Schuss abgefeuert wurde, das gesamte Land in Trümmern liegen kann.

Die Wahrheit ist bekanntlich das erste Opfer des Krieges. So ist auch die Wahrheit in dem Dschungel der griechischen Berichterstattung verloren gegangen. Von allen Seiten versuchen Interessensgruppen und Fraktionen zu manipulieren und aufzuheizen und erschaffen dadurch eine Nachrichten- und Socialmedia  - Hysterie die auf ihren Höhepunkt zusteuert und die griechische Gesellschaft in Stücke zu reißen droht. Dies ist gewollt, denn die Angst, die Sorge und die Verzweiflung der Menschen ist die mächtigste Waffe in diesem unsichtbaren Vernichtungskrieg.

Es fragt sich, was dagegen zu tun ist, was wir die europäischen Bürger tun können. Das Schicksal der Griechen geht uns alle was an, in diesen Tagen sind wir nämlich alle Griechen. Einfache Antworten gibt es nicht, ad hoc biete sich der Gang zur nächsten Bar, zur nächsten Apotheke oder direkt zum Psychiater an. Denn wir alle sind nur Zaungäste dieses historischen Weltengeschehens. Unsere Solidarität oder unsere Empörung wird herzlichst wenig ändern.Unser Kampfposten auf Twitter und Facebook trägt nur zur allgemeinen Hysterie bei.

Alexis Sorbas

Ich muss dann immer wieder an die Schlussszene des berühmten aller griechischen Filme denken „Alexis Sorbas“. Am Ende des Films sitzt der Protagonist Basil mit seinem Partner Alexis geschlagen und besiegt am Strand. Die beiden sind gescheitert, wo sie nur scheitern konnte, alle ihre Unternehmungen sind in Flammen untergegangen, all ihre Hoffnung ist verloren. Also tun sie das Einzige, was ihnen noch übrig bleibt, nämlich tanzen.

Der berühmte irische Dichter Samuel Beckett hat gemeint, dass wenn man bis zum Hals in der Scheiße steckt, einem Nichts anderes übrig bleibt als zu singen. Im Falle von „Alexis Sorbas“ bleib nichts anderes übrig als zu tanzen. Und auch den Griechen und somit auch uns machtlosen und entmachteten, beleibt nur noch der Tanz übrig, damit wir wenigstens, wenn schon nicht der Zukunft, dann der Gegenwart, ein wenig Leichtigkeit und Lebensfreunde abzugewinnen. Also ihr Griechen dieser Welt! Tanzt! Tanzt, bis euch sämtliche Kraft verlässt, denn nur dann habt ihr die Chance, euch vom Kummer und Angst zu befreien, um so würdevoll mit einem Lächeln auf den Lippen dem drohenden Weltenbrand entgegenzutreten.

 

Zum Autor:

Mag. Slavisa Zezelj LL.M.

ist vor 22 Jahren im Rahmen des Jugoslawienkriegs nach Österreich geflüchtet. Er hat in London und Wien Rechtswissenschaften und Soziologie studiert. Derzeit arbeitet er als Rechtsanwaltsanwärter und Strafverteidiger in Wien.

 

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