Ich bin jetzt Österreicher! Aber mit schlechtem Gewissen

16. Juni 2021

Nun ist es offiziell: Ich habe die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Ihr könnt Österreich dazu gratulieren, dass ich sie angenommen habe. Als Österreicher möchte ich jetzt meine Meinung dazu äußern, dass wir zu viele Ausländer in unserem schönen Land haben. Man darf ja seine Meinung dazu haben. Also - Ausländer raus! 

von Jad Tujrman

Spaß beiseite, seit ich die Staatsbürgerschaft habe, spüre ich einen großen Drang nach Bier und danach, sexistische und rassistische Witze zu machen. Ich will jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass alle Österreicher Alkoholiker sind. Ich will es nur behaupten.  Nein, wirklich Spaß beiseite. Ich bin glücklich und sehr dankbar dafür, dass ich die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen habe. Ich fühle mich jetzt davor sicher, dass irgendeine rechtsgesonnene Regierung mir mein Asyl entziehen könnte. Ich freue mich auch sehr darüber, dass ich in irgendein Nachbarland Syriens reisen kann und meine Familie dort endlich wieder in die Arme schließen kann. Und ganz wichtig, ich darf jetzt wählen und an dem Leben hier teilhaben. Aber seit ich sie habe, verspüre ich einen bitteren Beigeschmack. Erstens weiß ich nicht, wie ich mich angesichts dessen fühlen soll. Ich bin immer noch derselbe Mensch wie vor einer Woche. Zweitens habe ich Schuldgefühle vor anderen, die die Staatsbürgerschaft viel notwendiger brauchen aber nicht bekommen. Hayat lebt seit zwanzig Jahren in Österreich. Ihre drei Kinder sind hier geboren und aufgewachsen und nie in Syrien gewesen. Denn sie dürfen sowieso mit ihrem Konventionsreisepass nicht dorthin. Hayat ist wie die meisten Alleinerziehenden eine Heldin und Kämpferin bei der Bewältigung ihres Alltags. Als Kurdin war sie schon in Syrien staatenlos. Ihr Antrag auf österreichische Staatsbürgerschaft wurde nach zwei Jahren Verfahrensdauer mit der Begründung, sie verdiene zu wenig, abgelehnt, obwohl sie mehreren Arbeiten gleichzeitig nachgeht und in Summe mehr als ich verdient. Aber da sie für vier Personen aufkommen muss, entspricht ihr Gehalt nicht dem geforderten Limit. So bleiben sie und ihre Kinder immer noch staatenlos.  

Wir sind Brüder, aber wir haben jetzt nicht mehr dieselbe Wertigkeit am Flughafen.

Ich habe auch meinem jüngeren Bruder gegenüber Gewissensbisse. Er hat vor Kurzem in Damaskus sein Rechtswissenschaftsstudium abgeschlossen und muss nun zum Militär einrücken. Aber er möchte verständlicherweise nicht Teil der Gewaltspirale werden. Also muss er das Land verlassen. Mit seinem syrischen Reisepass hat er kaum Möglichkeiten. In der gleichen Situation stand ich vor sieben Jahren. Ich weiß, von welcher Verzweiflung und Zerrissenheit man an dieser Stelle geplagt wird. Er schickt mir ständig Fotos und Videos von seinen spielenden kleinen Töchtern und fragt: “Wie kann ich die zwei verlassen?”  Wir sind Brüder, aber wir haben jetzt nicht mehr dieselbe Wertigkeit am Flughafen. Und das schmerzt.  Ich liebe Österreich. Ich finde, es ist ein geiles Land. Ich habe mittlerweile einen emotionalen Zugang zu den Menschen, zu ihrem Dialekt und vor allem zur Natur. Aber der Weg, Österreicher zu werden, hat mir die behördliche Abwertung jener Menschen, die Österreicher werden wollen, klar verdeutlicht. Für die Staatsbürgerschaftsprüfung brauchen wir eine eigene Kolumne. Zweitausendzweihundert Euro kostet alles insgesamt. In anderen Ländern kostet es gar nichts oder nur einen symbolischen Betrag. In Kanada gibt es sogar ein Einbürgerungsgeschenk und einen kleinen Festakt. Ich habe meine Verleihungsurkunde per Post bekommen, und der Brief vom Landeshauptmann war nicht einmal personalisiert: ”Liebe neue Österreicher...”  Ich denke, dass es höchste Zeit ist, dass Österreich eine Reform zur Erlangung der Staatsbürgerschaft vornehmen sollte. Und zum neuesten Kommentar des Herrn Bundeskanzlers, der die Erleichterung des Zuganges zur Staatsbürgerschaft als Entwertung sieht, frage ich mich, was ist mehr entwertend für Österreich? Hayats Kinder die Staatsbürgerschaft zu geben oder das rassistische Gedankengut solcher Politiker? 

Jad Turjman ist Buch-Autor, Comedian und Flüchtling aus Syrien. In seiner Kolumne schreibt er über sein Leben in Österreich.

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