Keine Angst vorm fremden Mann

21. September 2015

50 Flüchtlinge kommen in ein kleines oberösterreichisches Dorf. Vorwiegend Männer. Und was passiert?

von Delna Antia

Bergkulisse, grüne Wiesen, grasende Kühe. Hier umzingelt einen die Idylle. „Das größte Problem mit den Flüchtlingen war, dass sie das Mülltrennungssystem nicht verstanden haben,“ erzählt Karim El Gawhary. Eigentlich berichtet der Nahost-Korrespondent aus Kairo, einer 20 Millionen Metropole. Heute steht er auf dem Kirchplatz des oberösterreichischen Großraming, einer Gemeide mit 2700 Einwohnern, und strahlt. Großraming sei ein „Flüchtlings-Biotop.“

Die kleine Gemeinde hat im November letzten Jahres 50 Flüchtlinge aufgenommen. Da war sie nicht gefragt worden, das wurde aus Linz so verordnet. Natürlich war hier keiner begeistert gewesen, damals knapp vor einem Jahr. Es herrschte keine Westbahnhof-Hilfsbereitschaftseuphorie. Im Gegenteil. Man hatte jede Menge Ängste. All die jungen Männer, kriegstraumatisiert, bei uns im kleinen Ort? Großraming war in Alarmbereitschaft.

Gesichter statt Zahlen

Aber dann waren sie da, die Flüchtlinge, die Männer aus Syrien. Sie kamen mit Gesichtern, Namen und Geschichten. Geschichten, bei denen die Großraminger froh wurden, dass ihr Haus jeden Abend noch steht.

Karim El Gawhary erzählt diese Geschichten. „Wenn die Menschen nicht mehr Zahlen sind, sondern Namen und Gesichter erhalten, dann ändert sich auch unsere Haltung. “ Das ist seine Mission und auch der Stoff seines neuen Buchs „Auf der Flucht.“

„Was muss ein Kind erlebt haben, das so etwas zeichnet?“ beginnt das erste Kapitel. „Am meisten sticht das Rot ins Auge, der Schwall von Blut, den das Kind mit Wachsmalkreide zwischen abgerissene Gliedmaßen, Köpfen und um jede einzelne Figur gezeichnet hat.“ Es ist das Bild des kleinen achtjährigen Abdallah aus Syrien. „Wovor Abdallah mit seiner Familie geflohen ist, bedarf keiner weiteren Erklärung,“ schreibt Gawhary.

Karim El Gawhary Großraming
Dragan Tatic

Großraming ist das letzte Kapitel dieses Buchs. Es ist das Ende vom Mittelmeer. Denn die kleine Gemeinde zwischen Berg und Tal, die außer Touristen selten „Fremde“ zu Gesicht bekam, hat ein Zusammenleben auf eigene Faust arrangiert. Der Angst zum Trotz. Von den Institutionen allein gelassen, setzen sie sich alle miteinander im Wirtshaus zusammen. Der gutmütige Bürgermeister, der rotwangige Pfarrer und rund 55 engagierte Frauen und Männer. Sie bildeten Hilfsgruppen. Die einen würden sich um geregelten Deutschunterricht kümmern, andere darum, dass Traumatisierte eine psychische Betreuung erhalten. Es wurde ein Begegnungscafe eingerichtet, mit Kleidung und Sachspenden zur freien Verfügung. „Durch die Flüchtlinge haben wir uns in der Gemeinde besser kennengelernt. Großraming 2015 ist ein anderes als 2014,“ sagt der Sprecher der Kommunikationsgruppe.

 

Kinderlehrbücher

In der Flüchtlingsunterkunft, einem umfunktionierten Hotel, ist gerade einer der drei Deutschkurse im Gange. „Der oder die Butter?“ Ein Großraminger kommentiert, dass das gerade in Oberösterreich eine schwere Frage sei. Man geht hier locker miteinander um, lacht, plaudert. Obwohl das Deutsch der Syrer noch brüchig ist und das Arabisch der Großraminger bei Null liegt. Aber es gibt ja noch Englisch, Hände und Füße. Sandra ist eine der freiwilligen „Deutsch-Lehrerinnen“. Sie würde sich seitens der Politik eine Empfehlung wünschen, mit welchem Buch sie die Flüchtlinge unterrichten könne. „Wir haben hier ja nur die Kinderlehrbücher.“ Und das Nachzeichnen eines Eichhörnchens interessiere die Männer nicht so.

Flüchtlinge Großraming Lernen
Dragan Tatic

Die „Fremden“

Die Männer sind in Gedanken meist ganz woanders. Mohamad zeigt immer wieder Fotos auf seinem Handy. Von seinem Boot auf einem Fluss im Grünen, als er noch Fischer war und sein Restaurant besaß. Mit seiner 13jährigen Tochter ist er aus Syrien geflohen. In Großraming schlafen sie in einem Stockbett. Er zeigt auch Fotos von einem Haus in Damaskus, einer Raketenexplosion, einer Frau im Krankenhaus mit Kopfverband. Es ist seine Frau, sie ist verletzt worden. Ihr geht es nicht gut. Telefonieren können die beiden kaum, es reicht für ein kurzes Hallo, dann seien 10Euro schon verbraucht. Seit 7 Monaten warte er schon auf seinen Bescheid, erst dann könne er sie holen. Man sieht Mohamad an, dass das Herumsitzen ihn wahnsinnig macht. Klar.

Kleine Mädchen laufen im Journalistenrummel herum. „Gerade Kinder sind Eisbrecher für Kommunikation,“ sagt der Bürgermeister. Natürlich wäre nicht alles reibungslos gelaufen, natürlich gab es Ressentiments vieler Einwohner. Und man hätte den Flüchtlingen immer wieder beibringen müssen, dass bei Nacht mit Licht gefahren werden muss, lacht er. Keine Großramingerin ist vergewaltigt worden, es ist nirgends eingebrochen worden und kein Kind wurde entführt.

Flüchtlinge Großraming Gruppenbild
Dragan Tatic

Auf einmal drückt uns ein junger Mann Fladenbrot in die Hand. Mazen, der 34jährige syrische Koch, hat es extra gebacken. Er ist seit 4 Monaten da. Außer schlafen, essen, deutschlernen und wieder schlafen gäbe es für ihn in Großraming nicht viel zu tun. Er lächelt. Ihm ist fad, er will etwas tun, arbeiten. Ab und zu fährt er mit dem Fahrrad durch die Wiesen. Auch Ammar wartet. Darauf, seine Frau und drei Töchter, endlich aus Syrien herholen zu können. Es sind die langsamen Mühlen der Linzer Behörden, die alle zermürben. Der 42jährige Landwirt spricht gutes Deutsch. Seine Lehrerin Sandra erzählt stolz, dass er schon im Großraminger Theater aufgetreten ist. In Nestroys Stück „Lumparcivagabundus“ hat er den Fremden gespielt. „Aber mein Kopf ist immer in Syrien.“ In die Heimat kommunizieren die beiden Männer täglich per Whatsapp, mit Skype sei die Verbindung einfach zu schlecht.

Flüchtlinge
Dragan Tatic

Gemeinsam fahren wir zum Kino. Karim El Gawhary liest hier heute Abend persönlich aus seinem Buch vor. Wir müssen weiter weg parken und durch den Regen laufen, weil so viel los ist. Alle sind da. Der Bürgermeister, der Pfarrer, die Großraminger Society, die freiwilligen Helferinnen, die wieder mit selbstgebackenem Kuchen aufwarten und natürlich die Flüchtlinge. Der Saal birst, mehr Sessel werden organisiert, dann ist es bum-voll. Großraming ist heute #stolzdrauf.

„Menschen wachsen vielleicht wirklich an ihren Aufgaben“, hatte El Gawhary gesagt. Dann entstehe etwas Neues.

Vielleicht wirklich.

Flüchtlinge Großraming Auto
Dragan Tatic

Der Besuch fand am 14. September 2015 statt.

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