„Kurz kümmert sich nicht“

08. April 2016

Als Integrationsminister ist Sebastian Kurz abgetreten, kritisiert Michael Häupl (SPÖ). Wiens Bürgermeister über die „mangelnde Integrationsleistung“ des schwarzen Außenministers und das „semi-erotische" Verhältnis der ÖVP zum Gymnasium.

Von Simon Kravagna

 

Michael Häupl, SPÖ
"Aussenpolitik ist ein süsses Gift" Foto: Lukas Ilgner / Verlagsgruppe News / picturedesk.com

 

biber: Herr Bürgermeister, Sie sind schon lange im politischen Geschäft und einer der erfolgreichsten SPÖ-Politiker seit Jahrzehnten. Daher eine Frage an Sie als Polit-Profi: Was macht Außenminister Sebastian Kurz richtig, dass er medial immer so gut aussteigt?

Michael Häupl: Sebastian Kurz hat sicherlich ein gutes Mediennetzwerk. Dazu kommt, dass Außenpolitik eine dankbare Geschichte ist, weil diese medial nicht rasend schwer zu verkaufen ist, aber die Österreicher in Wahrheit kaum interessiert. Mit Außenpolitik kann man in Österreich ein gutes Image aufbauen, aber keine Wahlen gewinnen.   

 

Viele Politiker haben ein gutes Mediennetzwerk und kommen trotzdem nicht so gut weg.

Richtig. Das alleine ist es nicht. Sebastian Kurz hat grundsätzlich ein geschultes Auftreten, ist eloquent und wurde in sehr jungen Jahren Außenminister. Das erregt auch international Aufmerksamkeit. Aber als Integrationsminister ist er abgetreten, was mir persönlich sehr leid tut. Wir haben es sehr begrüßt, als das Integrationsstaatssekretariat eingeführt wurde. Jetzt geht dieser Bereich völlig unter.

 

Warum ist Kurz für Sie als Integrationsminister abgetreten?

Ich orte mangelnde Integrationsleistung. Das ist das Kernproblem.

 

Sie meinen, weil er sich nur um Außenpolitik kümmert?

Außenpolitik ist ein süßes Gift, dem man leicht erliegen kann. Aber um Integrationspolitik kümmert er sich nicht. Tut mir leid, das ist so.

 

Immerhin kümmern sich Kurz und die ÖVP um die Wiener Islam-Kindergärten.

Dazu hätten wir ihn nicht gebraucht. Wenn man wie die Stadt Wien dreieinhalbtausend Kontrollen im Jahr durchführt, dann weiß man schon was los ist.

 

Die ÖVP will auch die Mindestsicherung für Flüchtlinge kürzen. Vielen schlecht verdienenden SPÖ-Wählern werden rund 860 Euro pro Monat wohl ebenfalls sehr viel vorkommen.

Die wird’s schon geben. In der Diskussion wird es allerdings klarer, wenn ich sage: „Schaut’s Freunde, die Mindestsicherung kürzen kann man nur allgemein. Alles andere verletzt den Gleichheitsgrundsatz.“ Daher kann ich nicht  die Mindestsicherung nur für Flüchtlinge kürzen. Ich kann sie nur für alle kürzen. Und das ist auch die wahre Absicht der ÖVP, die immer gegen die Einführung der Mindestsicherung war.

 

„Es war ein großer Fehler, die europäischen Außengrenzen nicht zu sichern“

 

Aber Sie wissen, es gibt Berechnungen, wonach eine Familie mit vier Kindern auf bis zu 36.000 Euro pro Jahr an Sozial-Zuschüssen in Wien kommen kann.

Diese Berechnungen stimmen aber nicht. Mit solchen Aussagen und Forderungen die Ärmsten der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen, gegeneinander aufzuhetzen ist das Niederträchtigste, was mir in der Politik so unterkommt. Und meistens kommt das von Menschen, die bei einem Abendessen in der Wiener Innenstadt mehr Geld ausgeben als die 860 Euro, mit denen andere einen ganzen Monat auskommen müssen.

 

In vielen Wiener Außenbezirken mit Flüchtlingsheimen ist die Stimmung wahnsinnig aufgeheizt. Bekommen Sie das mit?

Ja, selbstverständlich. Aber Stimmungen sind Stimmungen und verändern sich. Was glauben Sie, was mir schon alles vorgeworfen wurde in meiner Zeit als Bürgermeister – nicht nur was Flüchtlinge betrifft. Um ein ganz unverfängliches Beispiel zu nennen: Als ich als Umweltstadtrat begonnen habe, im Jänner 1988, waren 77 Prozent der Wiener und Wienerinnen gegen Müllverbrennung. Als ich 1994 dann Bürgermeister wurde, waren noch ganze drei Prozent gegen Müllverbrennung. Also ja, diesen Stimmungen muss man sich stellen und geduldig Gespräche führen, aber immer nach seinen Überzeugungen handeln. Das gehört einfach dazu.

 

Sie haben mit einem sehr humanitären Flüchtlingskurs einen beeindruckenden Wahlerfolg eingefahren. Würde das jetzt auch noch funktionieren?

Natürlich haben die Rechten – insbesondere die FPÖ – dazugelernt. Wobei gelernt eigentlich der falsche Begriff ist. Sie haben halt ihre Hetze noch einmal verstärkt. Es sind aber auch Fehler gemacht worden. Es war etwa ein großer Fehler die europäischen Außengrenzen nicht zu sichern und den geregelten Zuzug nicht sicherzustellen. Zudem haben Österreich, Deutschland und Schweden Flüchtlinge zwar in großer Zahl aufgenommen, aber leider gab es und gibt es keine europäische Solidarität.

 

„Das ist das Niederträchtigste, was mir in der Politik so unterkommt.“

 

Die EU hat versagt?

Es ist eine ganz, ganz bedauerliche Feststellung, die ich da treffen muss, als jemand, der die europäische Integration immer außerordentlich begrüßt hat. Denn das ist wirklich eine der besten Beiträge, die Europa für die Weltgeschichte liefern konnte. Aber die Entwicklungen der letzten Monate sind ein Rückfall. Wir haben ein großes Bankenrettungsprogramm auf die Füße gestellt, aber ein Menschenrettungsprogramm haben wir nicht miteinander hinbekommen. Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu spielen ist der EU offenbar näher als ein solidarisch-humanitärer Zugang.

 

Stichwort Solidarität: Ist es eigentlich besonders gerecht, wenn Flüchtlingskinder vor allem in Neue Mittelschulen gehen, wo es doch ohnehin bereits viele Probleme gibt? Warum werden nicht mehr Kinder aus Flüchtlingsfamilien in Gymnasien geschickt?

Wir müssen jetzt ohnehin eigene Flüchtlingsklassen schaffen, damit die Schulen nicht überfordert werden. Die Kinder werden dann in die Regelklasse geschickt, wenn sie dem Unterricht folgen können. Aber davon unabhängig: Ja, das ganze System ist nicht zeitgemäß. Deshalb sind wir ja für die gemeinsame Schule der 6- bis 14-Jährigen. Wenn die ÖVP so eine semi-erotische Beziehung zu dem Begriff „Gymnasium“ hat, dann gibt es halt ein Gymnasium für alle. Mir ist das ja völlig wurscht. Wesentlich ist, dass es eine gemeinsame Schule der 6- bis 14-Jährigen gibt – modulartig aufgebaut. Weil wenn einer einen Fleck hat, dann soll er dieses Modul nachholen, aber nicht eine ganze Klasse wiederholen. Das ist ja eine Vergeudung von Ressourcen.

 

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