„Merkel ist wie eine Mutter zu uns.“

17. September 2015

Flüchtlinge
Foto: Marko Mestrovic

Nachdem Deutschland das „Dublin-Verfahren“ für syrische Flüchtlinge außer Kraft gesetzt hat, zieht es sämtliche Syrer in die Bundesrepublik. Nur die wenigsten bleiben in Österreich. Biber fragt syrische Flüchtlinge am Westbahnhof, warum es sie nach Deutschland zieht.

Von Onur Kas und Marko Mestrovic (Fotos)

Es waren bewegende Szenen am Wiener Westbahnhof. Tausende Flüchtlinge, die in Ungarn auf Ausreise warteten, kamen hier an und wurden von hilfsbereiten Menschen herzlich empfangen. Selbstlos wurden sie mit den nötigsten versorgt. Doch die wenigsten wollen in Österreich bleiben. Ihr Ziel ist Deutschland.

Familie in Deutschland

Auch für Ferid. Der 29-Jährige Syrer wartet auf den nächsten Zug nach Salzburg, um von dort aus nach München weiter zu reisen. Warum er nicht in Österreich bleiben will, hat für ihn einfache Gründe. „Die meisten meiner Freunde und Familienmitglieder sind schon in Deutschland. Die sind vor einem Jahr aus Syrien geflüchtet und haben Asyl bekommen. Deswegen will ich zu ihnen.“ Ein interessierter Wiener ist in unsere Gesprächsrunde dazu gestoßen und fragt sich, warum sie alle nach Deutschland wollen. In Österreich sei es doch auch sicher. Ferid, der sich auf Englisch mit uns verständigt entgegnet, dass es in Österreich schon zu viele Flüchtlinge gebe und er das Land nicht weiter belasten wolle.

Nicht-Syrer werden weiterhin abgeschoben

Im August hat das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Dublin-Verfahren für Syrer ausgesetzt. Diese EU-Richtlinie besagt, dass Flüchtlinge in dem Land ihr Asylantrag stellen müssen, wo sie als erstes EU-Boden betreten haben. Irrtümlicherweise gehen viele Flüchtlinge nun davon aus, dass Deutschland niemand mehr Abschieben wird. Tobias Klaus von der deutschen Flüchtlingshilfe-Organisation „pro Asyl“ führt das auf ein Kommunikationsfehler zurück: „Diese Meldung hat sich über die sozialen Netzwerke wie ein Lauffeuer verbreitet. Zudem haben die Medien es so vermittelt, dass das Dublin-Verfahren gänzlich ausgesetzt wurde. Doch nur Syrer sind von dieser Regelung ausgenommen.“ Die Bundespolizei greife nach wie vor Nicht-Syrische-Flüchtlinge auf, die dann abgeschoben werden, so Klaus weiter.

„Die Deutschen sind gut zu einem“

Zurück zum Wiener Westbahnhof. Abdullah (35) sitzt mit seinem Rucksack auf einer Bank und erzählt mir, warum er es kaum abwarten kann die deutsch-österreichische Grenze zu überschreiten: „In Syrien ist alles zerbombt. Ich will wieder eine Perspektive haben. In Deutschland gibt es Schulen und Arbeit. Ich habe gehört, dass die Deutschen gut zu einem sind.“ Er könne auch in Österreich bleiben, erzählt Abdullah weiter. Doch hier habe er niemanden. Er sei zwar dankbar für die herzliche Begrüßung, doch das wichtigste sei für ihn die Zusammenführung mit der Familie in Dortmund.

Freundliche Polizisten

Eine Frage stellt sich immer noch: Warum ziehen Flüchtlinge weiter nach Deutschland, obwohl Österreich ein sicheres und wohlhabendes Land ist. Vor Ort ist ein Reporter des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera. Er meint die Gründe zu kennen: „Kein anders Land weltweit hat aktuell ein so gutes Image wie Deutschland. Das gut funktionierende politische System, die florierende Wirtschaft und das Bild von den freundlichen Polizisten hat sich unter den Flüchtlingen rumgesprochen.“  Christoph Riedl vom Diakonie-Flüchtlingsdienst führt das Motiv dagegen auf die negativen Zustände in Österreich zurück: „Die Flüchtlinge wissen von Traiskirchen. Wenn sie Glück haben bekommen sie ein Feldbett in einem Zelt, wenn Sie Pech haben, schlafen sie auf dem Fußboden.“ Wenn man nach seinem Erstantrag ins Polizeianhaltezentrum kommt, das quasi einem Gefängnis gleiche, bestehe unter den geflüchteten kein Anreiz in Österreich zu bleiben, sagt Riedl.

„Danke Angela Merkel“

Auch Rali will nicht in Österreich bleiben. Gemeinsam mit seiner Frau Hayal und seiner Tochter auf den Schultern steigen sie in den Zug nach München. „Deutschland ist das beste Land der Welt. Unsere Hoffnungen liegen nun dort. Wir werden die Sprache lernen, unser Kind in die Schule schicken und uns integrieren. Bevor er mit seiner Familie weiterreist, möchte Rali einer bestimmten Frau seinen Dank ausrichten: „Danke Angela Merkel. Du bist wie eine Mutter zu uns.“

Grenzkontrollen

Auch wenn Deutschland angekündigt hat, keine Syrer abzuschieben: Die Bundesrepublik möchte den Eindruck vermeiden, dass jedem Flüchtling Tür und Tor geöffnet ist, sich hier niederzulassen. Seit dem 31. August sind rund 60.000 Asylwerber am Münchner Hauptbahnhof angekommen. Es fehlen Notunterkünfte. Damit die Versorgung der Flüchtlinge nicht kollabiert, entschied sich Berlin vorrübergehende Kontrollen an der Grenze zu Österreich einzuführen. Ziel sei es, „den Zustrom nach Deutschland zu begrenzen“, so Deutschlands Innenminister Thomas De Maizière (CDU). Wer sich eine Abschreckende Wirkung davon erhofft, der irrt.  Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) rechnet mit viel mehr Schutzsuchenden, als zuvor angenommen: „Vieles deutet daraufhin, dass wir in diesem Jahr nicht 800 000 Flüchtende aufnehmen, wie es das Bundesinnenministerium prognostiziert hat, sondern eine Million”, heißt es in einem Brief des SPD-Chefs an die Parteimitglieder.

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