Eine meiner Freundinnen und ich sind zwei richtige Leseratten und geben gerne jedem Hype eine Chance, deshalb haben wir uns auch den neuen (in so gut wie jeder Zeitung und Radiosendung gepriesenen) Beststeller „Fifty Shades of Grey“ besorgt. Da meine Freundin das Buch gerade liest, bin ich noch nicht zum Zug gekommen aber ihr momentanes Fazit lautet: „Gut und hocherotisch geschrieben.“ Das glaube ich ihr aufs Wort, weil wir bei Büchern meist denselben Geschmack haben. Es geht kurz gesagt um eine junge Frau, die dem Charme eines erfolgreichen, attraktiven Mannes verfällt, welcher aber, ihr bis dahin neue, Sexualpraktiken bevorzugt – nämlich Sadomaso.

Das soll keine Buchrezension werden oder die Offenbarung meiner Vorlieben – mir stellt sich nur diese eine Frage: „Wann ist Sadomaso gesellschaftstauglich geworden?“

Eine psychische Störung als neue sexuelle Erfüllung?

Das Wort ist nicht umsonst die Verbindung von zwei doch sehr bedenklichen psychischen Störungen: Sadismus und Masochismus. Einige der Praktiken sind relativ harmlos und sind auch schon aus dem Krankheitskatalog gestrichen worden. Doch je mehr man probiert, umso mehr möchte man probieren – somit kann der anfängliche Kitzel in etwas Dunkles umschlagen. Geschweige denn von der Gefahr an einen falschen Sexualpartner zu geraten … Ausgeprägter Sadomasochismus ist eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung, in der man mit jedem immer härter und kranker werdendem Mal, zwar Lust erlangt aber ein Stück seiner Seele verletzt. Was jeder in seinem eigenen Schlafzimmer aufführt, ist natürlich eine persönliche Sache aber ist es ok, dass die Notwendigkeit von Schmerz und Unterwerfung für den Lustgewinn als etwas Wünschenswertes und Unverzichtbares angepriesen wird?

Der gesellschaftliche Druck ist schon hoch genug

Man sollte so perfekt wie nur möglich aussehen, nicht nur schlank, sondern auch noch perfekt trainiert sein, das Outfit perfekt zusammengestellt, immer im Trend. Natürlich reicht das nicht und deshalb sollte man noch 40 Persönlichkeits-Seminare besuchen, ja immer positiv denken und einen angesehenen Job haben, in dem man erfolgreich ist und gute Kohle macht. Wenn man dann 13 Stunden gearbeitet hat, sollte man nach Hause kommen und die perfekte Hausfrau abgeben, die Wohnung blitzeblank putzen und noch schnell ein (natürlich kalorienarmes und gesundes!) Gala-Menü mit exotischen Zutaten zaubern. Danach ins sündhaft teuere Negligé schlüpfen, die perfekte Liebhaberin sein, freilich das Kamasutra rauf und runtervögeln können und das am besten mindestens 10 Mal in der Woche. Das wäre Mal ein kurzer Einblick in einen Tag, wie er laut Serien, Filmen und diversen Weiberzeitschriften aussehen sollte. Und als ob das nicht schon genug Druck wäre, soll ich mich jetzt auch noch langweilig und unausgelebt fühlen, weil ich mir nicht mit Schraubzwingen meine Brustwarzen bearbeiten lasse? Na leiwand.

Um jeden Preis schocken

Ich will überhaupt nicht das Buch schlecht machen, womal ich es doch noch gar nicht gelesen habe und es offensichtlich echt interessant sein dürfte. Es hat mir nur den Stoß zu diesem Blog gegeben. Was mich eigentlich stört, ist dass „Sex sells“ nicht mehr reicht, dass es gar keine Grenzen mehr gibt. Müssen Lady Gaga, Christina Aguilera und Rihanna ihre Videos wie Pornos gestalten? Ich weiß, dass sie immer wieder schocken müssen, um nicht in Vergessenheit zu raten. Aber ist es gut, dass abstruses Fetischzeug in jedem deppaten Musivideo vorkommt? Ist es in Ordnung, 13-Jährigen (und letztendlich uns allen) ein Bild von Sexualität zu geben, dass eigentlich nicht normal ist und nicht umsonst ewig lang verpöhnt war?

Wie auch immer, ich gehe mir jetzt den „Zu prüde für 2012“-Stempel auf die Stirn drücken und mein stinknormales, peitschenfreies Leben weiterführen.