Serbien, Schule und Waffen

02. Juni 2023
von Dennis Miskić
 
Wenn ein 13-jähriger Schüler neun seiner Mitschüler und den Schulwart erschießt, wird klar, dass etwas Grundlegendes am System geändert werden muss. Als dann aber auch am Tag darauf ein 21-Jähriger nahe Belgrad weitere acht Menschen erschoss, musste Serbien der Realität tief ins Auge blicken. Und die Realität zeigt sich in diesem Fall in der Erkenntnis, dass die serbische Gesellschaft an der Wurzel infiziert ist – infiziert mit einer Kultur der Gewalt.
 
Diese Erkenntnis kommt aber leider zu spät. Schon vor drei Jahren betrat ein Mann eine Schule mit einem Sturmgewehr und über 700 Kugeln. Ein Lehrer konnte ihn aufhalten. Und was ist passiert, um so etwas vorzubeugen? Die Glorifizierung von Kriegsverbrechern, Stilisierung von Gewalt, Krieg und toxischen Männlichkeitsbildern ist passiert, wenn nicht sogar weiter angetrieben worden. Und die Kultur der Gewalt wurde weiter angetrieben und aufgeblasen.
 
Anders sieht es anscheinend der mittlerweile zurückgetretene Bildungsminister. Der hatte kein Problem damit, am Tag des Amoklaufs die ‘westlichen Werte’ für das Verhalten des jungen Schülers verantwortlich zu machen. Auch was das sonstige Krisenmanagement betrifft, hat die Regierung wohl total versagt. Das Bildungsministerium machte Tippfehler in den Presseaussendungen, regierungsnahen Medien wurden heikle Informationen über die Täter und ihre Familien zugespielt und der Polizeichef hielt allen Ernstes die ‘Abschussliste’ bei einer Pressekonferenz vor die Kamera. Der 13-Jährige hatte sich nämlich einen genauen Plan für den Amoklauf gemacht, inklusive Namensliste jener, die er erschießen wollte. Dazu kommt auch, dass anstatt sich um die pädagogische Betreuung der Kinder im Land zu kümmern, auf Polizeikontrollen gesetzt wird. Auf einer Check-Liste mit allem, was nicht getan werden sollte, hat die serbische Regierung wohl alles abgehakt.
 
Die Fehler einsehen? Kommt nicht in Frage. Okay, in Selbstkritik war diese Regierung noch nie geübt. Im Gegenteil – sie hat Angriff als Verteidigung gewählt. Die Opposition sei voller Verräter und die Proteste nur reine Show oder sogar Fake. Nach den ersten Protesten am 8. Mai veröffentlichten Boulevardmedien Bilder von leeren Straßen. Sie waren aber alles andere als leer. So ist es kein Wunder, dass in den letzten Wochen zehntausende Bürger:innen Serbiens auf die Straßen gingen. Und sie werden wohl noch weiter auf die Straße gehen. Sie wollen so ihre kollektive Trauer, aus der Wut und Unzufriedenheit wurde, ausdrücken. Über die Forderungen, die sie stellen, lässt sich streiten. Wichtig ist aber, dass die Protestbewegung nicht aufhört. Sie darf nicht aufhören, bis sich das System Vučić nicht verändert hat – oder bis es sogar ganz verschwunden ist. ●

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