Unseren Hass bekommt ihr nicht: Aus der Sicht eines Geflüchteten

04. November 2020

Im Sommer 2013 wurde ich von einer islamistischen Terror Miliz namens Al-Nusra-Front, dem Vorläufer des IS, bei Damaskus entführt, gefoltert und war Augenzeuge bei einer grausamen Hinrichtung. Ich bin dank des Lösegelds von meinem Vater der Einzige von fünf Männern aus dem dunklen Keller, der noch am Leben ist. 

von Jad Tujrman

Ich weiß ganz genau, welche Emotionen Terroranschläge und Gräueltaten im Namen der Religion in einem auslösen. Ich weiß auch durch meine Betroffenheit von dieser barbarischen Ideologie und durch meine Arbeit gegen Radikalisierung, dass es kein anderes Ziel des Anschlages gibt, außer Angst zu verbreiten. Die Terroristen wollen bewusst die Gesellschaft spalten und polarisieren. Und das aus verschiedenen Gründen.  Je größer die Wut und der Hass auf Muslime in Europa im Alltag werden, desto einfacher wird es, sie für ihre Ideologie zu begeistern. Je mehr Muslime von der Gesellschaft ausgegrenzt werden und Aggressionen ausgesetzt sind, desto leichter werden sie von Extremsten rekrutieren. Der Mörder von Wien hat bekanntlich wahllos auf Menschen geschossen. Die Terroristen wollen primär ein brutales Bild schaffen, das die Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzt und die gewünschte Dynamik hervorruft.

Ich schreibe nicht, um den Islam zu verteidigen.

Ich bin ziemlich religiös aufgewachsen. Als Kind besuchte ich die Koranschule und bekam für das Auswendiglernen dreier Kapitel des Korans eine Auszeichnung. Ich besuchte mit meinem Vater und meinem Bruder den Islamunterricht und begann, als ich zehn Jahre alt war, im Ramadan zu fasten. Ich erlebte einen ganz anderen Islam als denjenigen, den diese Monster vertreten. 

Ich schreibe nicht, um den Islam zu verteidigen. Ich bin überzeugt davon, dass der Islam auf verschiedenen Ebenen eine andauernde Auseinandersetzung mit sich selbst braucht. Wenn man die heftige Reaktion vieler Muslime auf die beleidigenden Karikaturen des Propheten beobachtet, wird der Bedarf einer kritischen Aufklärung innerhalb bestimmter muslimischer Glaubensgemeinschaften deutlich.

Ich bin auch überzeugt, dass wenn der Prophet selbst noch am Leben wäre, ihn die Morde und das bestialische Abschlachten im Namen des Islams viel mehr treffen, entsetzen und empören würden als irgendwelche Karikaturen. Diese absurde Gewaltbereitschaft ist keine Realität, die ich für mich akzeptieren will. Ich vermische hier keinen Islam mit politischem Islam oder „richtigen“ Islam mit „falschem“. Diese Unterscheidung sorgt nur für Verwirrung und Ablenkung. Ein kritischer und aufgeklärter Zugang soll fundmental dem ganzen Islam selbstverständlich sein. 

Christchurch und Hanau

Ich schreibe auch nicht, um mich von diesem grausamen Terroranschlag zu distanzieren, denn das ist selbstredend. Auch wenn es zu oft erwartet wird, dass alle Muslime sich für die Gewalttaten anderer Muslime entschuldigen. So wie es selbstverständlich ist, dass sich christlich sozialisierte Menschen von den Attentätern von Hanau und Christchurch nicht distanzieren müssen. 

Ich schreibe nur, weil wir alle von dieser terroristischen Gewalt betroffen sind. Weil islamistischer Terror, Terror jeglicher Art,  unser gemeinsamer Feind ist. Weil wir jetzt mehr denn je zusammenrücken müssen, es schwere Zeiten sind, in denen Besonnenheit und Ruhebewahren eine Notwendigkeit sind, um nicht in die IS-Falle zu tappen. Die Gewaltspirale darf sich nicht drehen, damit nicht später vielleicht eine unschuldige Frau mit Kopftuch auf offenem Platz die Rechnung für diesen feigen Terrorangriff zahlt. Ich schreibe, weil Wien und seine liebenswerten Menschen mir am Herzen liegen, und mein Herz nun gebrochen ist.   

 

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