Strahlende Zukunft

17. März 2016

In der Nacht vom 26. April 1986 zerfetzen Explosionen das Atomkraftwerk in Tschernobyl. 28 Menschen - Feuerwehrmänner und Kraftwerksmitarbeiter - sterben beim Versuch, eine Katastrophe zu verhindern. Tausende Quadratkilometer Erde werden verseucht, hunderttausende Menschen müssen umgesiedelt werden. Erstmals in der Geschichte der zivilen Atomenergie kommt es zum größten anzunehmenden Unfall (GAU).

Die Geschichte klingt wie aus einem schlechten Horrorfilm. Ein stümperhaft geplantes und durchgeführtes Experiment verwandelt das Kernkraftwerk „W. I. Lenin" in eine Todeszone. Bei zwei Explosionen werden das Dach und der Reaktor zerstört. Durch einen Brand im Reaktorkern werden hochradioaktive Stoffe in die Luft geblasen - Höhenwinde verteilen diesen strahlenden Staub in ganz Europa. Österreich ist ebenfalls betroffen.

Was war passiert?

Atomkraftwerke produzieren nicht nur Energie, sondern verbrauchen sie auch zum Betreiben der Maschinen im Werk selbst. Die Reaktorbrennstäbe müssen gekühlt werden - egal, ob das Kraftwerk Strom produziert oder stillsteht. In einem Experiment sollte bewiesen werden, dass eine Reaktorabschaltung auch nach einem vollständigen Stromausfall möglich wäre. Der Plan ist, dass Notstromaggregate innerhalb von wenigen Sekunden anspringen und die Kühlung ohne Probleme weiterlaufen würde. Dazu wurden auch Notfallsysteme abgeschaltet, die Schlimmeres hätten verhindern können.**

Durch Bedien- und Konstruktionsfehler gerät der Reaktor außer Kontrolle. Durch zwei Explosionen werden das Dach und der Reaktorkern beschädigt. Ein Brand bricht aus, der mit Wasser nicht zu löschen ist - ganz im Gegenteil: Wasser verdampft, nimmt dabei radioaktive Teilchen auf und wird vom Wind ins Umland des Kraftwerks geweht.

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Foto: Youtube

Reaktion statt Aktion

Zunächst hat niemand eine Ahnung, was genau geschehen ist. Die Feuerwehren der nahe gelegenen ukrainischen Arbeiterstädte Prypjat und Tschernobyl rücken an, um den Brand zu löschen. Was die Feuerwehrleute und auch die Kraftwerksmitarbeiter zum Teil nicht wissen: Sie werden durch ihren heldenhaften Kampf gegen das Feuer stark verstrahlt. Ihnen stehen die Strahlenkrankheit und ein grauenhafter Tod bevor. Ihre Leichname müssen später in Bleisärgen bestattet werden. Schrittweise werden die Städte Prypjat und Tschernobyl evakuiert. Den Menschen wird gesagt, sie würden nur für einige Tage weg müssen. Die politische Führung ist zunächst ahnungslos und spielt den Vorfall zunächst herunter. Erst, als 1200 Kilometer weiter nördlich, in Schweden, erhöhte Strahlenwerte gemessen werden, gibt man einen großen Unfall zu.

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Foto: Youtube

Roboter und Bioroboter

Um die Folgen des Unfalls zu beseitigen, beginnt die Rote Armee damit, einen Betonsarkophag um den Reaktor zu bauen. Viele stark strahlende Brennstoffelemente müssen beseitigt werden. Räumversuche mit ferngesteuerten Geräten scheitern. Also lässt die Armeeführung Soldaten und politische Gefangene antreten: Sie werden als "Bioroboter" eingesetzt.

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Foto: Youtube

Aufgrund der lebensgefährlichen Strahlung ist ihre Aufgabe sehr simpel: auf das zerstörte Dach laufen, eine Schaufel Schutt zurück in den Reaktor schmeissen und wieder runterlaufen. In diesen 40 Sekunden sammeln diese "Liquidatoren" genug Strahlung für ihr ganzes Leben ein. Offizielle Zahlen schwanken, man geht aber von 600.000 Menschen aus, die für diese Aufräumarbeiten herangezogen worden sind - mindestens 50.000 von ihnen sind gestorben.

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Foto: Youtube

Keine Pilze, keine Milch

Österreich bekommt vom atomar verseuchten Regen und Wind einen großen Teil ab. Durch Regenfälle wird der Staub besonders im Westen Österreichs im Boden eingelagert. Der ORF berichtete.

Eine erhöhte Belastung wurde auch in Milchprodukten festgestellt - Kühe, die auf der Alm grasten, haben über das Futter radioaktive Teilchen aufgenomen. Aus diesem Grund mussten viele tausend Liter Milch entsorgt werden. Außerdem bestand lange Zeit eine Mess- und Meldepflicht für Milchbauern aus diesen Regionen. Die Karte von 1986 zeigt die Belastung durch radioaktives Cäsium besonders gut. Inzwischen ist durch den natürlichen Zerfall die Belastung gesunken. Belastet sind nach wie vor Wildttiere wie Rehe und Wildschweine und Pilze.

30 Jahre später

Viele Jahre sind seit der Katastrophe vergangen. Trotzdem ist die 30km breite Sperrzone um Tschernobyl nach wie vor nur mit Erlaubnis zu betreten. Die unmittelbaren Gefahren der Strahlung sind weniger geworden. Es gibt morbide, geführte Touren in diese Todeszone. Die internationale Gemeinschaft baut mit dem Shelter Implementation Plan eine neue Schutzhülle um den Reaktor - die alte wurde zu hastig zusammengebaut und zerfällt. Die geplante Fertigstellung des New Safe Containment wird heuer erfolgen. Online kann man den Fortschritt der Bauarbeiten beobachten.

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Foto: Screenshot chnpp.gov.ua

* Später wurde der Reaktor einfach Tschernobyl genannt, weil ja nichts, was nach dem Parteigründer der kommunistischen Partei bennannt ist, in die Luft fliegen darf.

** In der Sowjetunion herrsche lange Zeit ein ganz besonders lasches Sicherheitsdenken nach dem Motto "Wird schon nix sein".

 

 

 

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