Bitterer Nachgeschmack des Brexit

12. Juli 2016

 

Freitag, 24.06.2016. Ich wache in meiner Wohnung in London auf und kann die News kaum glauben: Großbritannien hat entschieden sich von Europa zu trennen. Schock, rassistische Vorfälle, halbe Regierung weg, Flucht der Hauptleader der Leave-Kampagne und sinkender Pfund-Wert waren nur einige der direkten Effekte des schockierenden Ergebnisses. 

 

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Über Brexit ist schon alles gesagt worden. Trotzdem scheint es als hätten wir immer noch keine Ahnung was uns erwartet. Viele reden von der Möglichkeit, dass es nicht passieren wird. Andere sagen, dass es das Ende der Europäischen Union bedeutet. Es gibt aber auch eine Menge Menschen, die mit dem Ergebnis sehr zufrieden sind und glauben, dass es nur noch besser sein wird. Es gibt Themen, über welche man ohne Emotionen nicht reden kann. Brexit gehört sicherlich dazu. Es wäre im Moment schwierig einen Menschen in Großbritannien zu finden, der keine emotionale Meinung dazu hat. Viele reden, keiner weiß.

Während versucht wird, dieses schockierende politische Ereignis einfach zu erklären, gibt es meiner Meinung nach keine einfache Erklärung dazu. Das Thema beinhaltet so viele Punkte, die nicht kurz und vereinfacht erklärt werden können. Wenn die EU und Großbritannien Facebookprofile hätten, würde es unter Beziehungsstatus heißen: Es ist kompliziert. Sicher ist eins: Sollte diese Liebesgeschichte ein Happy End haben, werden wir auf dieses noch lange warten müssen. 

 

Brexit: Es könnte knapp werden

 

Zur Zeit passieren in Großbritannien Dinge, die vor drei Wochen noch undenkbar gewesen wären. Rassistisches Graffiti auf dem Gebäude des polnischen Kulturzentrums, deutsche Mütter, die Angst haben mit ihren Kindern Deutsch zu sprechen, Ausländer, die geprügelt werden, weil sie eine andere Sprache sprechen, Mütter, die Angst haben, mit ihren Kindern spazieren zu gehen.  Die Stimmung gegen Nicht-Briten verschärft sich auf den Inseln. Dabei dachte ich bisher, dass Großbritannien eins der tolerantesten Länder Europas, wenn nicht sogar der Welt, ist. 

Ich bin der Meinung, dass man Brexit im Nachhinein auch nicht einfach erklären kann. Umso mehr wundert mich die Entscheidung von über 50 Prozent der Briten: Wenn man es jetzt nicht einfach erklären kann, wie konnte man es vor dem Referendum tun? Die Antwort auf diese Frage ist erschreckend simpel: Das konnte man nicht. Die Kampagne der Brexit-Befürworter basierte auf Angst: Angst vor den Ausländern, die Jobs klauen, das Gesundheitssystem ausnützen und das hier verdiente Geld nach Hause schicken. Ein sehr komplexes Thema wurde durch Angstmacherei simplifiziert. 

Dabei hat niemand geglaubt, dass es zum Brexit überhaupt kommen kann. Finanzmärkte, Mitgliedsländer der EU, nicht mal viele der Menschen, die pro Ausstieg gestimmt haben. Umso größer war der Schock im Nachhinein.

Brexit hat einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Die Entscheidung war für viele Ausländer hierzulande eine schlechte Überraschung. Man dachte, man wird gewollt. Man dachte, man ist ein Teil der Gesellschaft. Man dachte, man trägt zu dieser Gesellschaft bei. Jetzt zweifelt man an all diesen Dingen. Es gibt unzählige Europäer und Nicht-Europäer, die sich ihrer Zukunft in Großbritannien nicht mehr so sicher sind. Ein Land, das sich für viele wie ein Zuhause angefühlt hat, fühlt sich auf einmal ein wenig fremder an. 

Dabei wissen wir nicht, was uns erwartet und ich glaube, dass eben diese Ungewissheit die Menschen so unsicher macht. Man kann sich nämlich auf die Dinge, die auf uns zukommen, auf keine Weise vorbereiten. Es ist wie mit jeder Beziehungskrise: Man kann schwer vorhersagen, was passieren wird. Hoffentlich wird diese Liebesgeschichte doch noch ein Happy End haben.

 

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Kommentare

 

die EU Schaden nehmen wird, wenn ein so grosser Stützpfeiler wegbricht wie GB, ist unbestreitbar. Doch, ob GB auch Schaden nehmen wird, das ist gar nicht so klar.
Die EU ist ein sehr inhomogenes Gebilde, deren Existenz grösstenteils den Grossindustriellen, Wirtschaftseliten und Lobbyisten zugute kommt.
Gesellschaftliche, historisch gewachsene Identitäten werden ignoriert und durch die entfesselte Migration Veränderungsprozesse mit gewaltigem sozialen Konfliktpotential herbeigeführt.
Solange diese sozialen Prozesse zu Gunsten von freien Handelsströmen bagatellisiert werden, braucht sich kein "Europäer" zu wundern, dass der gesunde Menschenverstand der "Normalbevölkerung" die Notwendigkeit einer EU nicht überhöht und sogar in Frage stellt.

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