Mein Blut, mein Bruder, mein Cousin

21. Dezember 2017

 

Im Leben trifft man viele Menschen. Einer unterschiedlicher als der andere. Manche beschreibt man als cool, lustig, sympathisch oder liebenswert. Andere hingegen als nervig, anstrengend oder sogar respektlos. Freundschaften entstehen und zerbrechen wieder - so spielt nun mal das Leben. Man sagt nicht umsonst, Menschen kommen und gehen. Während man denkt, dass Familienmitglieder Loyalität eher erwidern als Freunde, merkt man schnell, dass man sich hierbei irrt. Intrigen werden immer geschmiedet, ganz egal ob man dasselbe Blut teilt oder nicht. Schlussendlich können wir uns nicht aussuchen mit wem wir verwandt sind und mit wem wir denselben Nachnamen teilen müssen. Nicht ganz so überraschend, habe ich eine sehr große Familie. Cousins und Cousinen kann ich nicht mal mit meiner Hand abzählen. Damals in der Volksschule hatte ich damit angegeben, dass ich mehr Cousins habe, als Anika oder Stefan. Normal, wenn alleine mein Vater acht Geschwister hat und der von Stefan nur einen. Welcome to the middle east bro.

 

Einige Menschen stechen immer heraus. Durch den ganzen Alltagsstress und den Deadlines und Meetings und sonstigen Terminen vergisst man manchmal auf die Leute, die einem am wichtigsten sind. Man hat schon so viel im Kopf, dass es einfach ausgeblendet wird. Auf meiner täglichen Route durch Ottakring, mit den Blicken auf die Straße als der Regen langsam die Scheiben der Straßenbahn hinunterfloss, kam es auf einmal hoch. Ich habe ihn vermisst. Den Menschen, den ich liebe, wie meinen großen Bruder. So sehr würde ich wahrscheinlich nicht einmal meinen biologischen großen Bruder lieben, wenn ich einen gehabt hätte. Ich brauche aber keinen, denn ich habe ihn. Den einzig wahren unter den ganzen Ratten. Meinen Cousin.

 

Mein Cousin ist damals als er 20 wurde aus der Türkei nach Wien gezogen. Und das ganz alleine. Er hat sich hier ein neues Leben aufgebaut. Neue Sprache, neue Stadt, neue Probleme und neue Herausforderungen. Ich bin mit ihm unter einem Dach aufgewachsen. Er war immer für mich da, hat sich um mich und meinen Bruder gekümmert. Meine Eltern mussten schon ziemlich früh in die Arbeit fahren und mein Cousin hielt uns an der Hand fest und brachte uns in den Kindergarten. Aber bald fing auch er an, sein eigenes Geld zu verdienen. Obwohl er bis tief in die Nacht gearbeitet hat, stand er am nächsten Morgen trotzdem da und begleitete uns auf dem Schulweg. Im Volksschulalter habe ich auch mit ihm angegeben und Kindern gedroht, dass ich meinen Cousin hole, wenn sie mich nicht richtig behandeln. (Hol’ mir dein Cousin war damals schon real) Ich wusste einfach, ich habe jemanden der hinter mir steht. Eines Tages habe ich dann auch gepetzt: „Adem hat mich beschimpft. Er sagt das und das.“ Dann kam er in die Schule und wollte ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Aber Adem hat mich auch verpetzt. Angeblich würde ich ja auch Sachen sagen, die ich nicht sagen sollte. (Ich schwöre, der hat gelogen) Schlussendlich haben wir dann beide was zum hören bekommen.

 

Wenn ich heute an früher denke, merke ich erst, was für eine große Rolle dieser Mensch in meinem Leben gespielt hat und immer noch spielt. Ich bin mit ihm erwachsen geworden, er hat mich gelehrt und mich auf das Leben vorbereitet. Nach meinen Eltern, ist er der Nächste auf den ich zähle. Und heute wird mir klar: Als sein Bett nach seiner Hochzeit einfach so leer da stand, war das mit Sicherheit eine der traurigsten Sequenzen meiner Erinnerung.  

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