Wenn eine 4-Jährige Silikonbrüste will
Halbnackte Frauen, aufgespritzte Lippen und erotische Videos – Turbo-Folk ist weit mehr als nur ein Musikgenre, er zeigt die Wertvorstellungen einer ganzen Generation.
„Wenn ich groß bin, will ich genauso hübsch sein wie sie“, höre ich meine 4-jährige Cousine aus dem Kinderzimmer rufen. Als würde ich ihr nicht ohnehin genug Beachtung schenken, lasse ich alles stehen und liegen und stürme sofort zu ihr. Ich fand die Kleine in Muttis High Heels und mit einem großen, orangen Sommerhut, tanzend zu einem Turbofolk-Lied auf „DM Sat“. Sie deutete auf die halbnackte Sandra Afrika, die meiner kleinen Cousine ihren nackten Hintern entgegenstreckt. „Ist sie nicht wunderschön?“ Pornoszenen, könnte man meinen. Stimmt aber nicht, es sind NUR Ausschnitte eines serbischen Musikvideos. Tolles Vorbild, da hat sie sich genau die Richtige ausgesucht. Der damals 19-jährigen Sandra wurde nämlich eine Affäre mit dem Sänger Mile Kitić nachgesagt, einem Mann, der locker ihr Großvater sein könnte.
Die Musikszene am Balkan wird ganz klar vom Turbo-Folk regiert. Jugendliche verbinden mit der Szene Geld, schöne Autos und Popularität. Sich am Boden rekelnde, halbnackte Frauen sind in TV-Sendern wie „DM Sat“ und „Pink“ gang und gäbe. Andere Kulturen kennen solch nette Damen nur aus nächtlichen Erwachsenenfilmchen, aber wir Jugos wollen sie jederzeit: Silikonbrüste, knappe Outfits und blondierte Haare. Make-up ganz nach dem Motto „mehr ist mehr“.
Kunstnägel statt Essen
Natürlich beeinflusst dieser fragwürdige Trend auch Jugendliche. Der internationalen Mode folgen die wenigsten Mädchen der Turbo-Folk-Szene. Wichtig bei der Kleiderwahl ist: kurz, knapp und viel Glitzer. Für Individualität bleibt hier kein Platz. Als ich vor einigen Monaten eine Kosmetikerin aus Bosnien fragte, wie ihr Geschäft so läuft, meinte sie: „Die Mädels hier geben ihr hart verdientes Geld lieber für Kunstnägel aus, anstatt sich etwas zu essen zu kaufen. Solange die Mägen knurren, mache ich mir um mein Geschäft keine Sorgen.“ Unabhängig von der finanziellen Situation werden Hab und Gut in Kleidung und Kosmetik investiert. Aber hübsch sind sie ja, die Frauen vom Balkan. Das muss man ihnen schon lassen.
Sobald aber Kinder ins Spiel kommen, werden Grenzen überschritten. Es ist NICHT in Ordnung, wenn sich Sängerinnen der Estrada in den Köpfen junger Mädchen als Vorbilder manifestieren. Im Erwachsenenalter kann das schwerwiegende Folgen haben. Wie soll sich denn ein junges Mädchen normal entwickeln, wenn sie im Fernsehen Tag für Tag nur große Brüste und aufgemotzte Autos zu sehen bekommt? Wenn sie bereits im jungen Alter glaubt, dass sie nur dann ihre Ziele erreichen kann, wenn sie als sexy wahrgenommen wird? Als 4-Jährige bringt uns meine Cousine in Muttis High Heels noch zum Schmunzeln, aber als 15-Jährige wahrscheinlich nicht mehr.
Links
Sandra Afrika 2012- Neko će mi noćas napraviti sina
http://www.youtube.com/watch?v=9VATjETeXf0
Kommentare
Man könnte aber auch fragen,
Man könnte aber auch fragen, wieso die Cousine überhaupt Zugang zum Schund-Sender DM-Sat hat? Da liegt es an den Eltern, möglichst Früh das Phänomen "Turbo Folk" mit ihren Kids zu thematisieren. Und zu erläutern, dass Sandra Afrika keine reale Person ist. Sie ist eine geschaffene Figur, die den Machern im Hintergrund Geld in die Kassen spült.